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Hasstament

Hasstament

Titel: Hasstament
Autoren: Serdar Somuncu
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Zugewinn an Kenntnis und Perspektive.
    Dass das nicht gemacht wurde, dass stattdessen immer wieder Angst geschürt wurde vor dem »Fremden«, statt sich den »Fremden« mal anzusehen, den »Fremden« so anzunehmen, bis es zum Teil des »Eigenen« wird. Das ist etwas, was man den Leuten sehr schwer vermitteln kann. Weil eben die Angst vor dem »Fremden« geblieben ist, fühlt sich der Deutsche sehr schnell bedroht von fremden Einflüssen. Es gibt in keinem Land so viele Rollläden wie in Deutschland. Das Wort »die Bürgersteige werden hochgeklappt« ist etwas, was ich nur aus Deutschland kenne.
    Diese Ängste zu verstehen und sie abzubauen, wäre ein Schritt in Richtung einer besseren Integration gewesen und zu einer Offenheit, welche die Menschen nicht in die Isolation getrieben hätte, welche sie heute nicht selten auch in die Arme der Fundamentalisten treibt. Religiöse Identität mit nationaler Identität zu vermischen, ist ja auch Ausdruck einer Isolation und eines Rückzugs auf tradierte Werte. Das hätte man verhindern müssen.
    Welche Botschaften gehen denn vom Mainstream des deutschen Integrationsdiskurses insbesondere an Jugendliche mit Migrationshintergrund aus?
    Somuncu: In meiner Schulzeit wurde getrennt zwischen deutschen und ausländischen Schülern. Wir sind in der Grundschule ausgegliedert worden in eine eigene Klasse mit der Begründung, dass wir dort »doch unter uns« sein könnten. Später hat man sich dann beschwert, dass wir »zu viel unter uns« sind und seit neuestem spricht man von »Parallelgesellschaften«.
    Dabei ist das alles sehr leicht zu entschlüsseln: Die Wohnungsämter haben in den 70er Jahren die Wohnungen in den Vierteln, in denen die Ausländer gelebt haben, nach Nationalitäten vergeben. Die Deutschen fanden das gut, wenn alle Türken in einem Viertel lebten. Da sind sie unter sich, »da müssen sie nicht viel Deutsch sprechen, was sie sowieso nicht können«. Was daraus entstanden ist, sieht man ja jetzt. Und diese Viertel waren ja nichts, was sich die Türken ausgedacht haben, sondern das waren zunächst mal Anlagen deutscher Behörden. Ich glaube, dass man diese Fehler nun wieder macht, insbesondere bei Jugendlichen. Man müsste Jugendliche in Kulturarbeit einbinden, man müsste vor allem auch viel mehr Türen zu gemeinsamen Lebensbereichen öffnen, die nicht traditionell türkisch sind.
    Aber man muss als Migrant auch lernen, seine Räume einzufordern und zu behaupten. Wenn ich z. B. Rollen spiele, dann werde ich fast nie für deutsche Figuren besetzt. Ich muss es selbst einfordern, sonst würde es immer so bleiben. Mittlerweile bekomme ich auch ab und an mal eine Rolle als Deutscher. Dieses Einfordern fängt schon auf der Schule an. Keine eigene Klasse, sondern zusammen mit den anderen. Kein eigener Religionsunterricht, sondern ein gemeinsames Fach für alle. Das wird allerdings viel zu wenig gemacht und das sind verpasste Chancen.
    Es gibt auffällig viele deutsch-türkische Comedians und Kabarettisten. Ist das Zufall?
    Somuncu: Das ist kein Zufall. Man muss das vor allem im Zusammenhang mit der Entwicklung unserer Gesellschaft in den letzten 10 bis 15 Jahren sehen. Die Wahrnehmung der Gesellschaft ist immer spezifizierter geworden und doch denken wir immer mehr in Sparten. Man hat z. B. herausgefunden, dass es einfacher ist, Zuschauer zu finden, wenn man sich spezialisiert. Die in Deutschland lebenden Türken sind eine relevante Zielgruppe. Das sind immerhin 3,5 Mio. potentielle Kunden.
    Und nicht nur in der Unterhaltungsbranche sind die Türken mittlerweile unübersehbar präsent. Das ist heute auch im Buchhandel so. Man sucht händeringend türkische Autoren. Wichtig ist, dass auf dem Titel ein türkischer Name steht, ein türkischer Titel und dass dieses Buch so beworben wird, dass Türken sich damit identifizieren können und das Buch kaufen. Ethnomarketing oder Zielgruppenmarketing nennt sich das.
    Fehlt in den deutschen Integrationsdebatten nicht auch ein wenig die Selbstironie oder überhaupt die Ironie als Umgangsform?
    Somuncu: Dazu fällt mir spontan ein Bild ein. Ich war vor kurzem auf dem »Ersten Kongress für Interkultur« eingeladen. Unter anderem war die Integrationsbeauftragte Böhmer da, Rita Süssmuth hat mir die Hand geschüttelt, Ministerpräsident Öttinger war da. Dazu haben sie sich natürlich den üblichen Katalog der vorzeigbaren »Quotenkanaken« eingeladen. Diese durften sogar in der ersten Reihe sitzen und was sagen. Bezeichnend fand ich
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