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Hassbluete

Hassbluete

Titel: Hassbluete
Autoren: Agnes Kottmann
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Apfelsine unter den Wartenden aufzuspüren. Robin stand auf der Seite des Bahnsteigs, auf der man einsteigen musste, wenn man in die City wollte. Am Hauptbahnhof, der eine Station nach unserer Schule kam, stieg er aus. Selbst wenn ich ihn kurz im Gedränge verloren hatte, leuchtete Robins Jacke immer kurz danach wieder vor mir auf. Als er das Reisezentrum erreichte, verlangsamte er seinen Schritt und warf einen Blick auf die Uhr. Er strich langsam an der gläsernen Halle entlang und betrat sie durch den zweiten Eingang. Ich blieb dort stehen. Am Ständer mit den Städteverbindungen hielt er und blickte sich nach allen Seiten um, bevor er in eins der Fächer griff, alle Blätter herausholte und etwas nach oben beförderte, was offenbar auf dem Boden des Faches gelegen hatte. Ich konnte auf die Entfernung nicht genau erkennen, was es war. Außerdem versperrte mir Robins Rücken die Sicht. Er stopfte die Einzelverbindungen zurück, sah sich noch mal um und lief dann zielstrebig zu den Schließfächern. Ich wechselte die Seite, weil man von dort besser sehen konnte. Ich schlich ein wenig um den fröhlichen Blumenladen herum und wäre beinahe in eine Frau hineingelaufen, die eine große schwarze Sonnenbrille und einen weit geschwungenen roten Sommerhut aus Bast trug – einen zweifachen Sonnenschutz, obwohl in der Bahnhofshalle keine Sonne schien. Wegen der dunklen Brille konnte ich nicht genau sehen, zu wem sie guckte. Dass auch ihr Blick vom Reisezentrum in Richtung Schließfächer glitt, war trotzdem eindeutig. Ich tat so, als würde ich mir die Blumen ansehen, die draußen vor dem Geschäft standen, und versuchte, Robin und die Frau gleichzeitig im Auge zu behalten. Das Parfüm der Frau war stärker als der Blumenduft und waberte immer wieder zu mir herüber. Meine Mutter benutzte dasselbe und ich hasste es, weil es viel zu aufdringlich war: Andy Dream. Es roch fruchtig, aber zu süß, eine Mischung aus Pfirsich und Vanille.
    Immer wieder warf ich verstohlen einen Blick zu Robin, der jetzt vor einem der Schließfächer stoppte, auf etwas in seiner Hand sah, vermutlich den Schlüssel, und die beiden Nummern verglich. Dann öffnete er hastig das Fach und stopfte den Inhalt in seine Jackentasche. Einen kurzen Moment lang war der Blick auf seine Hand frei. Ich konnte ein paar Geldscheine erkennen und etwas Rechteckiges, Flaches, das wie ein Handy aussah. Plötzlich rannte er los in Richtung U-Bahn und ich musste mich beeilen, um hinterherzukommen, für den Fall, dass er nicht die U-Bahn nach Hause nehmen würde. Doch es war die U2 nach Kinderhaus, die er ansteuerte. Ich stieg in den Waggon hinter seinem ein und konnte ihn durch die geschlossene Verbindungstür mit dem kleinen Fenster sehen. Er klammerte sich an einer Stange fest, obwohl die Bahn nicht überfüllt war. Durch die zweite hintere Tür in Robins Waggon stieg jetzt die Frau mit dem doppelten Sonnenschutz ein und ich hatte plötzlich das Gefühl, trotz der geschlossenen Tür ihren Geruch in der Nase zu haben. Sie setzte sich auf die hintere Querbank. Robin schien keine Notiz von ihr zu nehmen, er starrte aus dem Fenster und klammerte sich noch mehr an die Stange, als die Bahn losfuhr.
    In Kinderhaus stieg er aus und ich folgte ihm. Auch die Frau mit der Sonnenbrille verließ die Bahn. Robin lief an den Fahrradständern vorbei, keine Ahnung, ob er sein Rad einfach vergessen hatte. Also ging auch ich zu Fuß. Nach ein paar Metern sah ich mich unauffällig nach der Frau um, aber ich konnte sie nirgendwo mehr entdecken.
    Ein Mann hatte jetzt mit seinem Hund den Bolzplatz in Beschlag genommen. Der Hund musste Stöckchen holen. Ich kannte die beiden nicht. Viele Mitbewohner zogen ein und aus, ohne dass man es mitkriegte, manchmal noch nicht mal, wenn man auf derselben Etage gewohnt hatte.
    Robin schloss die Haustür auf. Ich lauerte gegenüber hinter einem Wagen, der am Straßenrand parkte. Von dort aus konnte ich sehen, dass er die Treppe runter in den Keller ging. Ich überlegte einen Moment, ob ich ihm auch dorthin folgen sollte, aber dort unten konnte man ihn nur schwer unbemerkt beobachten. Er würde mich schon auf der Treppe hören. Ich wartete noch ein bisschen und wollte schon zu Mike rüberlaufen, als Robin mit einer großen Sporttasche auch schon wieder die Treppe hochkam und sich zum Aufzug begab. Die Tasche hatte ich im Keller nie gesehen. Entweder war sie neu oder Robin hatte sie zusammengeknüllt und versteckt. Er verschwand im Aufzug. Die beiden
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