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Harry Dresden 09: Weiße Nächte

Harry Dresden 09: Weiße Nächte

Titel: Harry Dresden 09: Weiße Nächte
Autoren: Jim Butcher
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Nachricht, die man zusammen mit einem Kugelschreiber ebenfalls bereits eingetütet hatte.
    Ich sah zu der Frau hinüber. Dann ging ich zum Futon und las die Nachricht:
    Ich habe es satt, mich zu fürchten. Mir bleibt nichts mehr. Verzeiht mir. Janine.
    Ich schauderte.
    Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich hatte schon früher die eine oder andere Leiche gesehen. Wenn man es genau nahm, hatte ich Tatorte zu Gesicht bekommen, die genauso gut Fotos aus dem Schlachthof der Hölle hätten sein können. Ich hatte auch schon wahrlich Schlimmeres gerochen – ein ausgeweideter Körper gab einen Gestank ab, der so ekelerregend war, dass er fast greifbar wurde. Glauben Sie mir. Wenn ich diesen Tatort mit einigen meiner früheren Fälle verglich, war er sogar verhältnismäßig friedlich. Gut organisiert. Ich wäre soweit gegangen, ihn säuberlich aufgeräumt zu nennen.
    Das hier sah ganz und gar nicht wie das Zuhause einer toten Frau aus. Vielleicht war es gerade das, was es so unheimlich machte. Mit Ausnahme von Janines Leiche machte die Wohnung den Eindruck, als wäre ihre Eigentümerin nur schnell irgendwo hin geflitzt, um sich etwas zu essen zu besorgen.
    Ich ging umher und gab mir alle Mühe, nur ja nichts zu berühren. Das Bad und das Gästezimmer bestätigten den ersten Eindruck des Wohnzimmers: sauber und ordentlich, ein wenig spärlich eingerichtet, nicht luxuriös, aber eindeutig bestens gepflegt. Als nächstes knöpfte ich mir die Küche vor. Geschirr war in dem jetzt kalten Wasser in der Spüle eingeweicht. Im Kühlschrank stand Hühnchen in einer Marinade, und die Glasschüssel war fein säuberlich mit Frischhaltefolie versiegelt.
    Ich hörte leise Schritte hinter mir und sagte: „Eine Selbstmörderin legt gewöhnlich keine Mahlzeit in Marinade ein, und das Geschirr, das hier zum Spülen eingeweicht ist ... die behalten doch auch für gewöhnlich ihre Brillen nicht auf.“
    Murphy gab ein unverbindliches Geräusch von sich.
    „Nirgendwo Bilder“, sinnierte ich. „Keine Familienfotos, Schnappschüsse von einem Schulabschluss oder Bilder von der ganzen Bande in Disneyland.“ Ich fügte noch weitere Steinchen zu dem Mosaik hinzu, als ich mich in Richtung des zweiten Schlafzimmers umwandte. „Keine Haare im Abfluss oder im Abfalleimer im Bad. Kein Rechner.“
    Ich öffnete die Tür zum Schlafzimmer und schloss die Augen, um mit meinen Sinnen ein Gefühl für den Raum zu entwickeln. Ich fand, was ich erwartet hatte.
    „Sie war magisch begabt“, flüsterte ich.
    Janine hatte ihren Altar auf einem niedrigen Holztisch an der östlichen Wand errichtet. Als ich mich näher herantastete, spürte ich eine subtile Energie, wie die Hitze, die von einem Feuer aufstieg, das fast vollständig zu Asche heruntergebrannt war. Die Energie, die den Tisch umgab, war nie stark gewesen, und seit dem Tod der Frau verflüchtigte sie sich unablässig. Beim nächsten Sonnenaufgang würde sie komplett verschwunden sein.
    Einige Gegenstände waren sorgsam auf dem Tischchen angeordnet: eine Glocke, ein dickes, ledergebundenes Buch, wahrscheinlich eine Art Tagebuch. Ich fand auch einen alten Zinnkelch vor, einfach, aber ohne die geringste Spur einer Patina, und einen schlanken Mahagonistab, an dessen Spitze ein Kristall mit Kupferdraht befestigt war.
    Eines jedoch schien nicht an seinem angestammten Platz zu liegen.
    Ein uralter Dolch, wahrscheinlich aus der Frührenaissance, der als Misericordia oder Gnadgott bekannt war, lag direkt vor dem Tischchen auf dem Teppich, wobei seine Spitze in einem Winkel auf die gegenüberliegende Schlafzimmerwand wies.
    Ich grunzte und schritt durch den Raum auf das Messer zu. Grübelnd kauerte ich mich nieder und ließ meinen Blick die Klinge hinab bis zum Heft des Dolches gleiten. Ich ging zur Schlafzimmertür zurück und spähte zum Wohnzimmer hinüber.
    Das Heft des Dolches wies eindeutig in Janines Richtung.
    Ich betrat erneut das Schlafzimmer und linste in Richtung Messerspitze auf die Waffe herab.
    Sie wies auf die gegenüberliegende Wand.
    Ich warf Murphy, die nun in der Tür stand, einen kurzen Blick über die Schulter zu.
    Sie legte den Kopf zur Seite. „Was hast du entdeckt?“
    „Bin noch nicht sicher. Warte eine Sekunde.“ Ich schlenderte zur Wand hinüber und verharrte mit meiner Handfläche einen guten Zentimeter davor. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf den kaum mehr wahrnehmbaren Nachhall von Energie, den ich dort vermutete. Nach einigen Augenblicken höchster
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