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Harry Bosch 09 - Letzte Warnung

Harry Bosch 09 - Letzte Warnung

Titel: Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
Autoren: Michael Connelly
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endgültige Bestätigung zu erhalten. Oder sie zu geben.
    »Ja, bestätigt. Lawton Cross hat es mir erzählt.«
    Lindell nickte und wandte sich vom Kofferraum ab. Er blickte zum Gipfel des Granitbergs hoch. Ich beschäftigte mich damit, die Sachen aus dem Kofferraum zu nehmen und zu prüfen, ob mein Handy ein Signal empfing. Hinter mir hörte ich Lindell sagen: »Gleich fängt es zu regnen an.«
    »Ja«, sagte ich. »Gehen wir.«
    Ich reichte ihm eine Taschenlampe und eine Schaufel, und wir gingen auf die Öffnung des Schachts zu.
    »Das wird er mir büßen«, sagte Lindell.
    Ich nickte. Ich verzichtete darauf, ihm zu sagen, dass Lawton Cross bereits jeden Tag seines Lebens dafür gebüßt hatte.
    Der Schacht war riesig. Shaquille O'Neal hätte mit Wilt Chamberlain auf den Schultern darin gehen können. Das war etwas anderes als die stickigen, klaustrophobischen Netze unterirdischer Gänge, durch die ich 35 Jahre zuvor gekrochen war. Die Luft war frisch. Sie roch sauber. Nach drei Metern machten wir die Taschenlampen an, und fünfzehn Meter weiter machte der Schacht eine Biegung, und wir konnten den Eingang nicht mehr sehen. Ich ging langsam und hielt mich rechts – wie Lawton Cross gesagt hatte.
    Wir erreichten eine große Höhle und blieben stehen. Es gab drei Gänge, die von dort abgingen. Ich richtete meine Lampe auf die dritte Öffnung. Das war die, die wir nehmen mussten. Ich machte meine Lampe aus und forderte Lindell auf, auch seine auszumachen.
    »Warum? Wozu?«
    »Nur so. Machen Sie sie einfach kurz aus.«
    Das tat er, und ich wartete einen Moment, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Allmählich stellte sich mein Sehvermögen wieder ein, und ich konnte die Konturen der Felswände und Vorsprünge erkennen. Ich konnte das Licht sehen, das uns nach drinnen gefolgt war.
    »Was ist das?«, fragte Lindell.
    »Verlorenes Licht. Ich wollte das verlorene Licht sehen.«
    »Was?«
    »Man kann es immer finden. Sogar im Dunkeln, sogar unter der Erde.«
    Als ich meine Lampe wieder anknipste, passte ich auf, dass ich den Strahl nicht auf Lindells Gesicht richtete. Ich ging auf den dritten Gang zu.
    Diesmal mussten wir gebückt und hintereinander gehen, weil der Gang niedriger und enger wurde. Er machte eine Biegung nach rechts, und wenig später konnten wir vor uns Licht sehen. Eine Öffnung. Wir gingen weiter und kamen in einen offenen Kessel, ein Amphitheater, Jahrzehnte zuvor aus dem Granit gehauen. Die Teufelsschale.
    Im Lauf der Zeit hatte sich auf dem Boden der Schale eine Schicht aus abgebröckeltem Granit und Staub gebildet, die gerade dick genug war, dass darin Sträucher Wurzel fassen und Leichen verscharrt werden konnten. Das war die Stelle, an der Dorsey und Cross die Leiche Antonio Markwells gefunden hatten und an die sie mit Marty Gessler zurückgekehrt waren. Unwillkürlich fragte ich mich, wie lange sie in dieser Nacht vor drei Jahren noch am Leben gewesen war. War sie mit vorgehaltener Pistole durch den Schacht gestoßen oder, bereits tot, an ihre letzte Ruhestätte gezogen worden?
    Keine von beiden Antworten war ein Trost. Ich sah mich nach Lindell um, als er aus dem Schacht ins Freie kam. Sein Gesicht war totenbleich, und ich konnte mir vorstellen, dass er sich dieselbe Frage gestellt hatte.
    »Wo?«, fragte er.
    Ich wandte mich von ihm ab und schaute mich auf dem Boden des Kessels um, und dann sah ich es. Ein winziges weißes Kreuz, das inmitten von braunem und gelbem Gestrüpp an der Wand aus Granit stand.
    »Dort drüben.«
    Lindell übernahm das Kommando und ging rasch auf das Kreuz zu. Ohne lange zu überlegen, zog er es aus dem Boden und warf es beiseite. Als ich die Stelle erreichte, trieb er bereits die Schaufel in den Boden. Ich blickte auf das Kreuz hinab. Es war aus einem alten Lattenzaun gemacht. In seiner Mitte war das Foto eines Jungen angebracht. Ein mit Eisstielen gerahmtes Schulfoto. Antonio Markwell war längst nicht mehr in diesem Leben und an dieser Stelle, aber seine Familie hatte sie als geweihten Boden gekennzeichnet. Dorsey und Cross hatten sie dann ausgesucht, weil sie wussten, dass hier kein Unbefugter den Boden entweihen würde.
    Ich bückte mich und hob das kleine Kreuz auf. Ich lehnte es an die Felswand, und dann machte ich mich mit meiner geborgten Schaufel an die Arbeit.
    Eigentlich gruben wir mit den Schaufeln nicht. Wir scharrten nur an der Oberfläche, denn wir sträubten uns beide dagegen, die Spitze des Schaufelblatts zu tief in den Boden zu
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