Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Harmlose Hölle - Raum 213 ; Bd. 1

Harmlose Hölle - Raum 213 ; Bd. 1

Titel: Harmlose Hölle - Raum 213 ; Bd. 1
Autoren: Loewe
Vom Netzwerk:
Warum ihr gerade das auffiel, wusste sie nicht.
    Er rührte sich nicht, sondern blickte sie einfach nur an, als wäre er unschlüssig, was er tun sollte. »Es tut mir leid«, flüsterte er plötzlich, seine Stimme klang heiser.
    Oh Gott. Liv spürte, wie sich alles in ihr zusammenzog. Sie rutschte ein Stück zurück, nur weg von ihm, sie musste weg, musste wenigstens um Hilfe schreien, aber die Panik hielt sie in einem Würgegriff, wie sie ihn noch nie erlebt hatte.
    »Habe ich dich erschreckt?«, flüsterte er wieder. Noch immer rührte er sie nicht an.
    Er spielt mit mir. Er quält seine Opfer, bevor er sie tötet , schoss es ihr durch den Kopf.
    Und mit diesem Gedanken kam endlich Leben in sie. Sie sprang auf, knickte aber gleich darauf wieder ein. Ein stechender Schmerz fuhr durch ihren Fuß.
    Auch er richtete sich auf. Groß und dunkel baute er sich vor ihr auf, machte klar, wie überlegen er ihr war.
    »Hast du Angst vor mir?«, fragte er. Er legte den Kopf schief und es klang, als ob er die Frage ernst meinte.
    Sie starrte ihn an, registrierte in ihrer Panik jedes Detail. Er war auffallend blass. Die Brauen schwangen sich in einem perfekten Bogen über seine dunklen Augen, was seinem Gesicht einen merkwürdig weiblichen Ausdruck gab. »Vor mir brauchst du keine Angst haben.«
    Endlich griffen ihre Instinkte ein. »Lass mich in Ruhe!«, schrie sie los und hörte entsetzt, wie ihre dünne Stimme zwischen den Häuserwänden der Baustelle verklang. »Hau ab!« Und dann kreischte sie los, legte alle Kraft in ihr Rufen. »Hilfe! Hilfe! Ich brauche Hilfe.«
    Seine Augen funkelten sie an und da lag etwas in seinem Blick, eine solche Intensität, dass es ihr unwillkürlich die Stimme nahm. Ihr letzter Hilferuf verklang.
    »Liv, kleine Liv«, flüsterte er.
    Liv erstarrte. Er beugte sich vor und dann verzog sich sein Gesicht zu einem Lächeln, das nicht fröhlich wirkte, sondern ihn im Gegenteil noch bedrohlicher machte. Mit dem Zeigefinger fuhr er leicht über ihre Wange. Es war eine winzige Berührung, er zog seine Hand sofort wieder weg, aber Liv stockte der Atem.
    »Liv, kleine Liv«, flüsterte er wieder. »Du brauchst nicht um Hilfe zu rufen. Ich bin es doch, der dir helfen will.«
    Dann machte er auf dem Absatz kehrt und ging davon. Er ging einfach davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.

3
    »Mai, er wusste meinen Namen! Er muss mich von irgendwoher kennen! Dabei habe ich ihn noch nie gesehen.« Liv stocherte in dem Teller Spaghetti mit Kürbissoße herum.
    Es war der nächste Tag und sie und ihre beste Freundin Mai saßen in der Cafeteria. Liv fühlte sich, als ob Brei in ihrem Kopf wäre. Zäher, schleimiger Brei, der ihr das Denken schwer machte und jede Entscheidung völlig unmöglich.
    »Was soll ich denn jetzt nur tun?«
    Mais braune Augen unter ihrem gerade geschnittenen Pony wirkten besorgt. »Was ich dir schon die ganze Zeit sage: Du musst es deinen Eltern erzählen. Und der Polizei! Livvie, es hätte sonstwas passieren können. Das war bestimmt so ein Mädchenmörder. Oder Entführer. Nicht auszudenken, wenn ich dich nicht gefunden hätte!«
    Liv stöhnte auf. Mai hatte ja recht. Aber sie wollte sich nicht mit dem auseinandersetzen, was passiert war. Am liebsten hätte sie den gesamten gestrigen Abend aus ihrem Leben gestrichen. Alles. Buchstäblich alles.
    Sie sah den Mann, oder vielmehr den Jungen, immer noch vor sich. Wie er da vor ihr stand, dunkel und hager und mit diesem Blick, den sie nie vergessen würde.
    Liv, kleine Liv.
    Die ganze Nacht hatten die Worte in ihrem Kopf herumgespukt, waren schwerer und schwerer geworden, hatten sie kaum schlafen lassen.
    Ja, natürlich. Sie musste irgendjemanden informieren. Aber ihre Eltern anrufen? Sie waren vorgestern für zwei Wochen nach Venedig geflogen, ein Urlaub, den all ihre Freunde, Jessie und Liv ihnen zu ihrem Hochzeitstag geschenkt hatten. Außerdem hätte sie dann zugeben müssen, dass sie unerlaubt auf Katie Mandersons Party gewesen war, sogar unter der Woche, und sich um zwei Uhr nachts allein in einem gottverlassenen Neubaugebiet herumgetrieben hatte. Ihr Dad würde sie umbringen. Genauso wie ihr Bruder Jessie.
    Nein, dann wollte sie doch lieber versuchen, die ganze Sache zu vergessen. Einfach so tun, als ob nichts passiert wäre.
    »Was hat Daniel denn noch gesagt?«, fragte sie, eher um sich abzulenken, aber gleichzeitig spürte sie, wie der Schmerz sich in ihrem Bauch zusammenballte. Wie oft waren ihre Blicke in der Nacht, als sie sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher