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Harmlose Hölle - Raum 213 ; Bd. 1

Harmlose Hölle - Raum 213 ; Bd. 1

Titel: Harmlose Hölle - Raum 213 ; Bd. 1
Autoren: Loewe
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noch das ewige Zirpen der Grillen begleitete sie auf ihrem Weg. Mai würde ihr vorwerfen, wie uncool ihr Abgang war, aber aus der Vordertür zu gehen, als wäre nichts passiert, hätte Liv einfach nicht fertiggebracht.
    Sie wischte sich erneut die Tränen aus dem Gesicht und sah sich um. Die Wohngegend ging an dieser Stelle in ein Neubauviertel über. Im Licht der spärlich gesäten Straßenlaternen blickte sie auf aufgerissene Straßen, ein halb fertiggestelltes Gebäude und verdreckte Baustellenfahrzeuge. Der Kran und der Bagger wirkten in der Dunkelheit wie die monströse Requisite eines Endzeitfilms.
    Liv spürte ihre eigene Unsicherheit im ganzen Körper. Eigentlich hätte sie doch längst an der Constitution Road sein müssen, die zurück zur Hauptstraße führte. Oder?
    Sie tastete nach ihrem Telefon in der Tasche. Vielleicht sollte sie einfach Jessie anrufen, damit er sie abholte? Aber es war bestimmt zwei Uhr morgens, ihr Bruder würde sie umbringen, wenn sie ihn weckte. Außerdem wusste er nicht, dass sie zu dieser Party gegangen war. Sie hatte behauptet, dass sie bei Mai übernachten würde, und dasselbe hatte ihre Freundin bei sich zu Hause erzählt.
    Hinter ihr ertönte ein hohler metallischer Laut. Liv fuhr herum. Aber es war nur ein Rohr, das sich an dem Rohbau hinter ihr aus seiner Halterung gelöst hatte. Das Geräusch erschien ihr in der Stille der Nacht ohrenbetäubend.
    Liv bekam Gänsehaut an den Armen, obwohl die Luft zum Schneiden war. Sie trug nur ihr rosafarbenes Lieblingstop. Das passende Tuch dazu hatte sie bei Katie Manderson auf das Sofa geworfen, als sie mit Daniel am Arm auf der Party erschienen war.
    »Hey, Hammerauftritt«, hatte Mai ihr zugeflüstert. Und das war es gewesen. Ashley und Isabell und all den anderen Zicken waren die Augen aus den fett geschminkten Gesichtern gefallen.
    Und jetzt? Jetzt lachten sie alle über sie. Aber das war noch nicht mal das Schlimmste. Da stand sie notfalls drüber oder konnte wenigstens so tun. Daniels Verrat allerdings, das war etwas, was sie nie –
    Irgendwo ertönte ein leises Schleifen.
    Sie fuhr herum. Träge bewegte sich das Absperrband der Baustelle im warmen Wind.
    War da jemand?
    Dreh jetzt nicht durch, Liv! Du rufst Jessie an und gehst dann zurück und wartest vor dem Haus der Mandersons auf ihn.
    Sie drückte eine Taste.
    Kein Netz, meldete das Display.
    Liv ließ das Handy sinken. Die Schatten um sie herum erschienen ihr tiefer als zuvor. Sie spürte es, sie spürte es ganz deutlich. Hinter ihr stand jemand. Direkt hinter ihr in der Dunkelheit, er lauerte darauf, sie zu packen, wartete nur auf den Moment, in dem sie sich bewegte.
    Liv, jetzt nimm dich mal zusammen! Es ist spät, du hast getrunken, dein Freund hat vor dem halben Jahrgang eine andere geküsst – kein Wunder, dass du Gespenster siehst! Vergiss das Handy. Du gehst jetzt zurück zur Party und dann siehst du zu, dass du nach Hause kommst. Ende der Vorstellung.
    Sie lief los, mit langen, entschlossenen Schritten. Die hoch gewachsene Gestalt, die sich aus einem Schatten löste und ihr lautlos folgte, sah sie nicht. Aber selbst wenn sie geahnt hätte, wer da lauerte, Liv wäre niemals schnell genug gewesen. Denn im nächsten Moment war er schon hinter ihr.

2
    Liv wusste es sofort. Sie wusste es in dem Bruchteil eines Augenblicks, als die Arme sie umschlangen. Sie hatte keine Chance.
    Eine Hand legte sich ihr fest über Mund und Nase und erstickte ihren Schrei. Unmittelbar hatte sie das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
    Es musste ein Mann sein, der sie gepackt hielt, er war größer als sie und sein Griff war eisern. Ein merkwürdiger Geruch stieg ihr in die Nase, es roch seltsam antiseptisch und ganz automatisch schoss ihr eine Schlagzeile durch den Kopf.
    17-Jährige auf dem Heimweg von Party betäubt, vergewaltigt und ermordet.
    In diesem Moment ließ er sie los.
    Liv taumelte nach vorne, stolperte über irgendetwas auf der Straße, einen losen Stein, vielleicht aber auch nur ihre eigenen Füße, und stürzte zu Boden.
    Sofort war er heran. Sie schloss die Augen und ein Wimmern entfuhr ihrer Kehle.
    Doch es passierte … nichts.
    Eine Sekunde. Zwei Sekunden. Drei Sekunden.
    Liv zwang sich, die Augen zu öffnen.
    Er hockte direkt vor ihr und starrte sie an. Er musste etwa in Jessies Alter sein, vielleicht ein, zwei Jahre älter. Er war groß, schlank und komplett schwarz gekleidet mit Jeans und einem Rollkragenpullover, der viel zu warm für diese tropische Nacht war.
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