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Hannah, Mari

Hannah, Mari

Titel: Hannah, Mari
Autoren: Sein Zorn komme uber uns
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Hoffnung, dass sie verstanden. Als sie jedoch sich nähernde Schritte hörte, wurde ihr klar, dass dem nicht so war. Sie fühlte, wie eine Hand sie sanft am Arm berührte.
    »Brauchen Sie Hilfe?«
    Jo schüttelte den Kopf. Die größere der beiden Frauen hatte die Frage gestellt, jetzt sah sie ihre Freundin ratsuchend an. Die kleinere Frau zuckte die Achseln, nickte zum Tor hin, wollte offensichtlich gehen. Jo wünschte, sie würden das einfach tun.
    Die Große blieb beharrlich: »Soll ich die Polizei rufen?«
    »Nein!«
    »Einen Arzt vielleicht?«
    Jo antwortete nicht.
    »Na ja, hier können Sie nicht bleiben. Es ist gefährlich!«
    Jo fühlte sich plötzlich schuldig. Beide Frauen blickten besorgt in die Dunkelheit, suchten nach Schatten, die es nicht gab. Sie konnte in ihren Augen lesen, dass sie Angst hatten.
    »Hören Sie, das geht Sie nichts an«, sagte sie. »Gehen Sie einfach weiter!«
    »Wir lassen Sie hier nicht allein«, sagte eine der beiden tapfer.
    Jo hatte schon fast eine Stunde lang im Park gesessen, allein und erschöpft. Wie betäubt. Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, ganz zu schweigen davon, eine Entscheidung zu treffen. Und jetzt waren da auch noch diese beiden, um die sie sich Sorgen machen musste. So schlecht sie sich zweifellos fühlte, fand sie es nicht vertretbar, sie einem Risiko auszusetzen. Sie gab sich einen Ruck, stand von der Bank auf und wankte unsicher auf den Ausgang zu, gefolgt von ihren beiden Ritterinnen in schimmernder Rüstung.
    Beinahe sofort hielt ein Taxi am Straßenrand.
    »Sie beide zuerst.«. Jo riss die Wagentür auf. Es war ein Befehl, keine Bitte. »Und danke.«
    Die Frauen zögerten, bevor sie schließlich einstiegen. Jo knallte die Wagentür hinter ihnen zu, ehe sie es sich anders überlegen konnten. Als sie ihnen nachwinkte, starrten zwei Augenpaare durch die Heckscheibe zu ihr zurück.
    Während das Taxi in der Nacht verschwand, hielt ein zweites. Jo nannte ihre Adresse und stieg ein. Der Wagen fuhr an, fädelte sich in den fließenden Verkehr, nahm einen Zubringer zur Autobahn. Jo ließ sich erschöpft in den Sitz sinken und schloss die Augen, erleichtert darüber, dass sie auf dem Weg nach Hause war. Ihrem Versuch, ein bisschen Frieden und Ruhe zu erhaschen, wurde ein abruptes Ende bereitet, als der Fahrer erst beschleunigte, weil er das Umspringen der Ampel übersehen hatte, und dann scharf abbremste.
    »Sorry!«, sagte er. »Alles in Ordnung mit Ihnen dahinten?«
    Jo ignorierte sowohl seine Entschuldigung als auch die Frage. Ihre Aufmerksamkeit galt zwei Polizeiautos, die mit heulenden Sirenen in die entgegengesetzte Richtung rasten. Während sie ihnen nachsah, beobachtete der Fahrer sie im Rückspiegel. Sie rutschte zur Seite, um seinem neugierigen Blick zu entgehen.
    Fünf Minuten später bog das Taxi in eine hübsche Straße mit viktorianischen Reihenhäusern ein und hielt an. Der Fahrer blieb in seinem Wagen sitzen, während Jo ausstieg und die Tür zuknallte. Sie machte gerade das Tor zu Nummer 45 auf und war schon halb auf dem Weg, als plötzlich eine Stimme hinter ihr dröhnte: »Hey!«
    Als Jo sich umsah, war der Fahrer auf dem Bürgersteig und kam auf sie zu – sein Taxameter tickte noch. Als er die Hand ausstreckte, wich sie zurück.
    »Macht ’nen Zehner«, sagte er, Zeigefinger und Daumen aneinanderreihend.
    Während Jo in ihrer Manteltasche nach dem Fahrgeld suchte, musterte der Fahrer sie von oben bis unten. Sein abschätzender Gesichtsausdruck verschwand, als er kein Trinkgeld bekam. Er schnappte sich ihren Zehnpfundschein, schob ihn tief in seine Hosentasche und ging.
    »Gern geschehen«, murmelte er sarkastisch, stieg in sein Taxi und fuhr davon.
    Im Haus war es kalt und still. Jo lehnte sich einen Augenblick lang mit dem Rücken an die Tür, bevor sie durch die Diele ging, doch als sie sich in dem Wandspiegel am Ende der Diele erblickte, blieb sie wie angewurzelt stehen. Sie sah erbärmlich aus: die Strümpfe zerfetzt und mit Matsch bespritzt, die Augen blutunterlaufen und verschwollen, die Wangen voll grauer Schlieren, wo die Wimperntusche heruntergelaufen war.
    Sie ging ins Wohnzimmer, streifte den Mantel ab und warf ihn über die Lehne eines Sofas. Einem aufmerksamen Beobachter wäre aufgefallen, dass sie den Raum mit einem sicheren Blick für Farben und Details eingerichtet hatte: Jedes Möbelstück war sorgfältig ausgewählt und passte perfekt zu den anderen. In einem anderen Leben, so hatte sie schon oft gedacht, wäre sie
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