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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen
Autoren: Elaine Di Rollo
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Woche!«, brüllte Mr Talbot, während er auf die Tür zustolzierte. »Er kommt Montag in einer Woche.«

2
    Es war üblich, dass sich die Frauen des Talbot-Haushalts nach dem Abendessen in den Wintergarten zurückzogen. Dies taten sie jeden Abend des Jahres, da sie nicht einsahen, weshalb sie die Benutzung des Ortes auf die Frühlings- und Sommermonate beschränken sollten. Jetzt, an einem dunklen Märzabend, schufen Lampen inmitten des Grüns kleine Lichtkreise wie glänzende Luftbläschen in einem dunklen Aquarium. Doch es handelte sich um ein tropisches Aquarium, denn unter den schmiedeeisernen Gittern im Boden gurgelten und pulsierten Heißwasserleitungen wie die Eingeweide eines gewaltigen Organismus. An diesem Ort war man frei von der herrischen Gegenwart Mr Talbots, da der Wintergarten – insbesondere das tropische Treibhaus – eben der Raum im Großen Haus war, in dem man ihn am unwahrscheinlichsten antraf. Insgeheim hegte Alice den Verdacht, dass das weiche, verletzliche Grün der Flora ihrem Vater Unbehagen bereitete und er stattdessen die harten, männlichen Fakten vorzog, die ans Tageslicht kamen, wenn der Mensch die Natur einspannte und sich nutzbar machte. Obendrein hegte sie den Verdacht, dass ihn die Hitze im Treibhaus unangenehm ins Schwitzen brachte und sein Bart sich in der feuchten Atmosphäre kräuselte, was er nicht ausstehen konnte. Aus diesem Grund ließ sie die Heizung so hoch aufgedreht, wie es die Pflanzen gerade noch vertrugen. Außerdem wusste sie, dass ihr Vater in Wirklichkeit Lilians wegen jegliches Interesse an seiner botanischen Sammlung verloren hatte. Lilian hatte den Wintergarten geliebt.
    Im Gegensatz zu Mr Talbot fanden seine betagten Tanten und seine alte Mutter die drückende Wärme des Treibhauses tröstlich. Im Laufe der Zeit hatten sie diesen von Menschenhand erschaffenen Dschungel mit dem Drum und Dran eines zivilisierten Wohnzimmers kolonisiert, sodass sich inmitten des Blätterwerks zahlreiche Lehnstühle, Sofas und Fußbänke verbargen. Abgesehen davon gab es überraschend viele Tische – Beistelltische, Kartentische, Schreibtische, ein Esstisch aus Rosenholz, sogar eine Anrichte. Es war, als stieße man mitten in einem Regenwald auf einen Salon.
    »Was machst du da?«, erkundigte sich Alice bei Tante Statham. Unter den herabhängenden Ranken einer Passionsblume stand ein gewaltiger Esstisch. Die Tischplatte war mit Gefäßen voll Wasser und Terpentin übersät, aus manchen ragten Pinsel, in anderen hatte sich ein Spektrum aus Pigmenten abgelagert.
    »Etwas, das ich schon vor langer Zeit hätte tun sollen«, erwiderte Tante Statham. Sie ließ sich auf ein Sofa sinken, aus dem an mehreren aufgeplatzten Stellen Rosshaar hervorquoll und das reichlich mit roter Farbe beschmiert war. Es bog sich unter Leinwänden, die flach auf Holzrahmen gespannt oder zusammengerollt waren. »Ich habe entschieden, mich von der Malerei zurückzuziehen. Das Licht hier drinnen ist unmöglich. Die Pflanzen sind so hoch gewachsen, dass ich kaum sehen kann, was ich tue. Und natürlich wird mein Augenlicht immer schlechter.«
    »Ich kann alles zurückschneiden«, sagte Alice.
    »Es sind auch meine Finger. Weißt du, sie sind so steif. Und in letzter Zeit zittern sie ein wenig zu sehr. Ich kann den Pinsel kaum ruhig halten.«
    »Das hast du noch nie gekonnt, Liebes«, murmelte Lambert.
    »Außerdem«, fuhr Tante Statham fort, ohne auf den Einwurf einzugehen, »sind meine Bilder überall. DaVinci hat sich ein Bett aus Leinwand gemacht – er kommt nicht mehr zu seinem Körbchen.« Sie deutete auf den gewaltigen orangefarbenen Kater, der sich auf einem durchgelegenen Gemälde über einer Heißwasserleitung zusammengerollt hatte. »Würdest du ihn entfernen, mein Liebes, und das Bild zu den anderen legen? Ich werde das ganze Zeug von Sluce auf den Dachboden bringen lassen.«
    Der Kater öffnete seine säuregelben Augen und starrte wütend Alices herannahende Hände an. Sie hob ihn behutsam hoch, als handele es sich um einen heißen Kuchen, und legte ihn, immer noch zu einer Kugel zusammengerollt, auf einen Schemel.
    Zu ihrer Überraschung hatte der Kater auf dem Gesicht ihrer Schwester geschlafen. »Ich hatte ganz vergessen, dass du Lilian gemalt hast«, sagte sie und wischte die Haare von dem Porträt. »Du musst das hier kurz vor ihrer Abreise angefertigt haben.«
    »Ja«, sagte Tante Statham. »Ich habe es nie beendet. Eigentlich soll sie eine Orchidee halten – du weißt ja, wie sehr sie sie
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