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HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel
Autoren: Tobias O. Meißner
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bist du dann abgehauen.«
    »Klar. Wärst du auch an meiner Stelle. Und es war dann echt das Paradies. Februar, März, April, Mai, Juni, New York State, Ohio und Virginia. Wir hatten so ’ne edle Zeit. Brian hat immer für Stimmung gesorgt, und für guten Stoff natürlich auch, und Floyd war so voller ... so voller Kraft und Licht. Man konnte seine Zukunft in ihm leuchten sehen, das ganze Potenzial in ihm. Sie brauchten noch keine zweite Gitarre damals und auch kein Keyboard. Sie waren nur Drum und Bass und Floyds Gitarre und Floyds Stimme, und die Kids liebten uns auf den Konzerten. Klar bekamen wir auch mal Ärger. Brian legte sich fast jedes Mal mit den örtlichen Promotern und den Schuppenbesitzern an und feilschte wie ein Wiesel um mehr Geld, und einmal gab es sogar so ’ne Art Messerduell zwischen Brian und einem Fischfresser oben in Ithaca. Mit Klappmessern sind sie aufeinander losgegangen, und Floyd hat die Gitarre eingepluggt und den Soundtrack dazu live gespielt. Er war so genial. Er ist immer noch genial, aber anders. Es war so eine tolle Zeit. Im Juli dann die Hochzeit, das war das Größte. Und keine zwei Wochen darauf kam dann Utah.«
    »Utah? Das ist die blonde Braut, die im Booklet von Ripcage auf dem Zaun balanciert?«
    »Ja, genau die. Utah McAllison. Wir lernten sie in Bradford kennen oder in Smethport oder Jamesport oder irgendeinem dieser Kaffs Richtung Eriesee. Floyd war natürlich total begeistert von ihr. Sie hatte einen süßen kleinen Arsch in abgeschabten Wildlederleggins, und sie zog so ein Soloding durch, mit E-Gitarre umgehängt und Mundharmonika. Und Keyboard und Klavier konnte sie natürlich auch spielen und sogar noch’n bisschen Schlagzeug. Floyd und Brian und Halloran blieb die Spucke weg. Da hatte ich natürlich plötzlich ganz schlechte Karten. Ich kann nicht mal zwei Griffe auf der Gitarre halten, ohne dass mir vor Schmerzen die Fingerkuppen wegspringen.«
    »Du kannst nicht mal was? Entschuldige, das Gas macht so ’nen Lärm hier.«
    »Ich sagte, ich kann kein einziges Instrument spielen. Da hatte ich dann plötzlich schlechte Karten. Und wie sich herausstellte, war Utah nicht nur mit musikalischen Instrumenten gut. Sie war auch mit ihrer Pussy ziemlich virtuos.«
    »Floyd hat’s mit ihr getrieben?«
    »Sie haben’s alle mit ihr getrieben, wenn du mich fragst. Und schneller als ’n Huhn pickt, war Utah Mitglied der Band.«
    »Miststück.«
    »Tja. Und danach ging es dann richtig los. Die Musik wurde abgedrehter und gefiel mir nie mehr so gut wie vorher, als sie noch zu dritt gewesen waren. ›Der Sound ist unverwechselbarer geworden‹, sagte man, seit in einige Stücke dieses blöde E-Klaviergeklimper reingenommen wurde. Ihr Mundharmonikaspiel war aber nicht schlecht, das muss man ihr lassen. Sie konnte so dreckig reinschnäuzen in das Teil, dass man dachte, irgendwo hinter der Bühne werden Elefanten abgestochen. Es war ein Heidenlärm, mit immer mehr Blues- und Rhythm’n’Blues-Einsprengseln. Floyd fing jetzt auch an, anders zu komponieren. Er machte sich Gedanken über diese Harmonien und wie sie mit dem Klavier klingen würden und so. ›Goodbye‹ ist in dieser Zeit entstanden, es ist ja schon auf Index One drauf. Hast du Index One mal gehört?«
    »Ne. So, hier ist deine Milch. Was soll das sein, Index One ?«
    »Das ist ein Bootleg, das drüben in Ohio für Furore sorgte. Ist vielleicht nie bis Harrisburg gedrungen, schade. Aufgenommen irgendwo in Mansfield, glaube ich, und zuerst von ein paar Musikfreaks per Audiotape vertrieben. Mittlerweile gibt’s auch schon ein paar CDs davon, ich hab’ in Pittsburgh mal eine gesehen, nachdem ich schon von Floyd weg war. Jedenfalls ziemlich wildes Zeug, trotz Utahs Geklimper und Geschrammel. Floyd hat sich die Seele wundgeschrien wie ein Irrer.«
    »So wie auf dem Song ›Sleep‹ auf Ripcage ? Uaahhaaahh, den kann ich nie anhören, ohne dass es mir angst und bange wird. Das ist wirklich ein Verrückter, der da singt.«
    »Hast du den neuen Chronicle gelesen? Der Kritiker da hat geschrieben, ›Sleep‹ sei ›das furchtbarste, herzzerreißendste Geschrei seit Auschwitz‹.«
    »Harter Vergleich. Aber trifft ziemlich gut.«
    »Jedenfalls, Index One hatte auch so’n Stoff drauf. Sind zwar glaube ich nur drei oder vier Songs von dann letztlich auf Ripcage erschienen, aber der Rest war auch gut, wenn nicht sogar noch besser, ursprünglicher, nicht ganz so produziert.«
    »Ja? Ich finde gerade, dass Ripcage total rau klingt.
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