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HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel
Autoren: Tobias O. Meißner
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den Hunderten und Aberhunderten von Bands, die’s gibt. Es ist doch heute schon wirklich verdammt unwahrscheinlich geworden, dass der Junge, der im Supermarkt hinter dir in der Kassenschlange steht, nicht in irgendeiner Band spielt.«
    »Stimmt. Aber vielleicht ist genau das der springende Punkt. Die Leute wollen es so haben. Sie sind einfach geil auf Musiker und Schauspieler und Models und all so was. Ich glaube manchmal, am liebsten wäre es den Leuten, wenn es gar keine normalen Menschen mehr geben würde, sondern wenn jeder, dem du begegnest, ein Superstar wäre. Keiner interessiert sich doch mehr für Politiker und Wissenschaftler oder Intellektuelle und all so’n Scheiß. Es geht doch allen sowieso schon dreckig genug. Wer sich mit beschissenen McJobs über Wasser halten muss und überhaupt keine lohnende Perspektive mehr hat, der hat doch echt keinen Bock mehr drauf, sich zu Hause auch noch Sorgen um die Ozonschicht oder die Probleme der Obdachlosen und Schwarzen machen zu müssen. Aber so’n Typ mit ’ner elektrischen Gitarre, der mit seinem staubigen Tourbus in die Stadt geschlingert kommt – der ist wie Jesus zum Anfassen, und für die Kids die heiß ersehnte Ausrede, um wieder mal richtig zu Headbangen.«
    »Ich fand es eigentlich ganz schön cool, dass ›Goodbye‹ so ’nen zivilisationskritischen Text hat. Ich dachte, der wird einige Fettärsche ganz schön aufreißen.«
    »Ach scheiße. Da hört doch keiner drauf. Floyd selbst hat zu mir gesagt: ›Das ist dieses Bruce-Springsteen-Riff, das die ganzen Arschlöcher zum Wippen bringen wird, dieses Riff, das können sie gerade noch kapieren, also sollen sie es von mir aus kriegen und wie die Seehunde Beifall klatschen‹.«
    »Ja, das klingt ganz nach Nobody’s Floyd .«
    »Ist der Nobody’s Floyd -Scheiß auch schon bis hierher durchgedrungen?«
    »Bis hierher durchgedrungen? Karry, du machst dir echt kein Bild, wie sich hier alles verändert hat. Es gibt schon Nobody’s Floyd -T-Shirts zu kaufen. Selbst Silberman an der Ecke hat welche.«
    »Verrrrückt.« Beide lachten, als sie an den alten Silberman dachten, in dessen Laden früher immer nur ausgeleierte Klezmermusik vom Band gelaufen war. »Aber das klingt doch alles nach ’nem Traumleben. Was ist denn dann schiefgelaufen?«
    Karen seufzte. Sam junior quengelte und wurde von seiner Mami wieder auf den Schoß geholt.
    »Alles. So ziemlich alles lief schief. Na ja, letzten Juli haben wir wie gesagt geheiratet. Ich meine, wir kannten uns da über fünf Monate, was will man mehr verlangen. Wir kannten uns wirklich gut und hatten auch schon einige Ups und Downs hinter uns. Ich wusste auch, dass Floyd irgendwie verrückt war, irgendwie besessen, und dass er auf ganz einzigartige Art und Weise gut war. Jeder, der sich auch nur ein bisschen die Mühe machte hinzuhören, konnte das merken. Aber ich hab mir wohl nicht klar genug gemacht, was das am Ende bedeuten würde. Ich kann nicht mal behaupten, dass es Floyds Schuld gewesen ist. Er ist eben einfach seinen Weg weitergegangen, ohne Gnade, ohne Kompromisse und ohne Gefühle für jemand völlig Nutzlosen wie mich. Der Text dazu stand die ganze Zeit über an der Wand, ich bin nur einfach zu blöd und zu bekifft gewesen, ihn rechtzeitig wahrzunehmen.«
    »Karen ...«
    »Nein, ist ja schon gut. Ich bin drüber weg. Ich bin ja nicht erst gestern abgehauen. Ich bin schon im November weg, das hab ich dir ja schon gesagt.«
    »Und wo warst du die zwei Monate seitdem?«
    »Unsichtbar. Überall und nirgends. Floyd hatte mir was abgegeben von dem scheiß Plattenvertraggeld. Ich hab genau das gemacht, was ich sonst auch getan habe, wenn ich mal keinen Bock drauf hatte, mir jeden Abend denselben Gig reinzutun. Ich hab in fremden Städten, fremden Hotels, fremden Bars an der Theke gesessen, hab ein paar Drinks gehabt und mit Cowboys geplaudert. Ich hab das Leben weitergelebt, bis das Geld alle war. So, wie ihr alle mir immer vorgeworfen habt, dass ich bin, so bin ich dann halt auch geworden, da kann man nichts mehr machen.«
    Laurie seufzte. »Und jetzt willst du hier unterkommen.«
    »Tja. Ich hatte ja keine Ahnung, dass du und Sam wieder ... und dass du jetzt’n Baby hast.«
    »Ich hab versucht, es dir zu schreiben.«
    »Hast du schon gesagt.«
    »Ja. Und es war verdammt noch mal nicht fair von dir, einfach so abzuhauen. Ich hätte auch deine Hilfe brauchen können, weißt du? Damals, als Sam gerade mit der Anwältin rummachte. Plötzlich warst du auch noch
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