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Haeppchenweise

Haeppchenweise

Titel: Haeppchenweise
Autoren: Claudia_Winter
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auf dich!“
    Sascha windet sich aus meiner Umarmung, senkt das Kinn und nestelt an dem Kapitalband. Bis heute ist es mir ein Rätsel, wieso es ihm gerade Goethe und Tolstoi angetan haben.
    „Das war nur die halbe Neuigkeit ...“
    Oh nein. Bitte nicht.
    „Die Uni, die ich mir ausgesucht habe ... ist in Tokio.“
    Ich schließe die Augen. Ausgerechnet Sascha! Woher soll ich so schnell eine zuverlässige Aushilfe herbekommen?
    „Das ist ... schön für dich. Wann fliegst du?“
    „Mein Flug geht in fünf Tagen.“
    Ehrlich, ich hasse diesen Morgen .
     
    Das Aroma von Honig und Oregano schlägt heiß in mein Gesicht. Vorsichtig piekse ich mit der Serviergabel in die Kruste, das Fleisch gibt nach und hellroter Bratensaft tritt aus. Zufrieden ziehe ich den Bräter aus dem Grill. In Alufolie gewickelt darf das Hühnchen nachziehen und in einer halben Stunde wird es perfekt sein: außen knusprig, innen zart. Einen Augenblick vergrabe ich meine Nase in dem Küchentuch, das nach Orangenschalen riecht.
    Die Kunst am Herd verwandelt sich in der Augusthitze zur Schwerstarbeit, die einem körperlich das Äußerste abverlangt. Rätselhaft, wie Julius mit dreißig Kilo mehr auf den Rippen in unserer Großküche herumtänzeln kann und noch genügend Atem übrig hat, um die Belegschaft zur Weißglut zu treiben.
    Helga löffelt lustlos die Reisfüllung in ausgehöhlte Tomatenhälften. Die niederschmetternde Diagnose im Klinikum hat die Vermutung des Notarztes bestätigt. Schwerer Bandscheibenvorfall. Und Julius ließ ausrichten, dass er vorläufig keinen Besuch wünsche. Von niemandem.
    Seitdem leidet Helga an einer Art wilder Übersprungskochwut. Sie kocht zwei Beilagen gleichzeitig und backt nebenher Torten für die Kuchenvitrine, redet kein Wort und schielt andauernd zum Telefon.
    „Wie wäre es mit Kaffee?“
    Sie schüttelt mit vorgeschobenem Kinn den Kopf und angelt nach der Backform. Es gibt Augenblicke, da lässt man Menschen, die man mag, besser allein. Ich streichle über ihren steifen Rücken und verziehe mich schleunigst.
     
    Im Flur begegnet mir Louise von Stetten, das einzige Gesicht, das stumm in einem Rahmen wacht. Auch wenn sie im letzten Winter von uns ging, spüre ich ihren Atem zwischen jeder Mosaikfliese und in jeder Bodenfuge. Wie gewohnt löst ihr strenger Blick ein diffuses Unwohlsein in meiner Magengegend aus, obwohl ich Louise meinen Laden zu verdanken habe ... und einiges mehr.
    Ich nicke ihr den pflichtschuldigen Gruß zu und hadere erneut mit dem Gedanken, die Schriftstellerin in einen toten Winkel zu hängen, damit sie nicht unentwegt über mein Tun und Unterlassen richtet.
    „Vielleicht morgen“, nehme ich mir vor.
    Letztlich bleibt die alte Dame, wo sie ist. Das war schon zu Lebzeiten so.
    „Muh“, die Schweizer Kuhglocke, läutet über der Ladentür und ich halte kurz auf der Schwelle inne. Das „Cook & Chill“ ist nicht nur eine einfache Buchhandlung. Ich hatte immer die Vision von einem magischen Ort, an dem man länger verweilt, als nötig wäre, um ein Kochbuch zu kaufen.
    Ich spüre das Lächeln auf meinem Mund, als mich im Bistro der Duft nach frisch gebrühtem Kaffee, Bienenwachs und Gewürzen empfängt. Automatisch schaue ich auf meine Füße, unter denen es leise knarzt, als ich die Theke ansteuere. Jetzt gehen die Schiffsbohlen in maurische Steinplatten über, das Knarzgeräusch wird vom Klackern meiner Absätze abgelöst. Noch im Gehen atme ich langsam aus, lasse den fürchterlichen Morgen an meinen nackten Armen herab rieseln ... und richte meine Aufmerksamkeit auf meine Mittagsgäste.
    Bei Schröders von nebenan bleibt die Küche kalt – die beiden diskutieren an der Fensterseite lautstark, welche Partei an die Regierung gehört. Baabak liest bei seinem Minzetee den Stadtboten, sein Taxi wartet vor dem Laden – wahrscheinlich mit laufendem Motor. Klein-Mia stöbert in den Bücherregalen, ihr Vater hält ein Schwätzchen mit der Kunstschmiedin von gegenüber und schaut ihr verstohlen in den Ausschnitt. Mein Lächeln wird breiter, ganz von allein.
    Ich rufe ein gedämpftes Hallo in die Runde und werfe Baabak ein Küsschen zu, das er mit einem Lachen auffängt. Vorsichtig schiele ich über die Theke auf die lange Getränkebonreihe neben dem Kaffeeautomaten. Sieht aus, als bräuchte Sascha Hilfe. Das Mahlwerk rattert, als ich die Cappuccino-Taste drücke, ein Geräusch, das so untrennbar mit dem Cook & Chill verbunden ist wie Muhs Geläut. Die Bewegung hinter mir spüre ich,
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