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Haeppchenweise

Haeppchenweise

Titel: Haeppchenweise
Autoren: Claudia_Winter
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gesehen liege ich bequem, abgesehen von dem Ellbogen, der sich in meine Rippen bohrt.
    „Entschuldigung, nehmen Sie bitte ihr Knie aus meinen ...“, ächzt es.
    Ups. Der Postbote verzieht sein Gesicht, ich rappele mich auf, gestützt von Julia, die den Staub von meinen Hosenbeinen klopft. Um uns hat sich eine Menschentraube versammelt. Der Bahnfahrer beugt sich besorgt zu dem Postboten herunter, der wie ein Käfer auf dem Rücken liegt, die Arme seltsam starr zum Himmel erhoben.
    Obwohl die Straßenbahn das Fahrrad wie eine Coladose zerquetscht hat, löst der verdrehte Stahlrahmen ein unerwartetes Hochgefühl in mir aus. Ich habe dem Mann das Leben gerettet!
    „Sind Sie bekloppt?! Ich zeige Sie wegen Körperverletzung an!“ Sein Finger sticht in meine Brustmitte, ich hole überrascht Luft. Zu allem Übel baut sich der Bahnführer mit in die Hüften gestemmten Fäusten hinter dem Postheini auf und mustert mich finster. Dabei dachte ich, der Tag könne nicht schlimmer werden!
    „Das ist ein Missverständnis!“
    Nie war ich so froh, diese Stimme zu hören! Johannes zwängt sich zwischen die Umstehenden wie ein Hollywood-Strafverteidiger, der mit dem verlorenen Beweisstück in den Gerichtssaal stürzt, um seinen Mandanten vor der Todesspritze zu retten. Nur, dass die Realität eine Stüssgen-Tüte in der Hand hält.
    „Johannes! Was machst du denn hier?“
    „Ich habe hitzefrei genommen.“
    Dr. Hennemann nimmt hitzefrei?! Er wischt sorgfältig einen imaginären Fussel von seinem Ärmel, eine Geste, die man in seiner Kanzlei hinter vorgehaltener Hand „das Vorspiel“ nennt. Dann bohrt er seine bebrillten Habichtsaugen in die des Postboten.
    „Ich bin Frau Lehners Rechtsvertreter und zufällig Augenzeuge des Unfallhergangs. Sie sollten sich erkenntlich zeigen, denn dank des beherzten Eingreifens dieser jungen Dame sehen Sie nicht aus wie ihr Fahrrad. Wenn Sie von einer Anzeige trotzdem nicht absehen wollen, bitteschön. Nehmen Sie meine Karte. Ihr Anwalt kann sich gerne bei mir melden.“
    „Oh. Ich ...“ Der Postbote mustert die Visitenkarte und schielt verunsichert in meine Richtung. Ich drehe beleidigt den Kopf zur Seite.
    „Fein. Das hätten wir geklärt!“
    Aufgeräumt klatscht Johannes in die Hände und zwinkert Julia zu, die ihn anlächelt, als sei er Clark Kent persönlich. Ohne Vorwarnung zieht sie mich am Hemdsärmel mit sich.
    „Nix wie weg! Johannes erledigt das!“
    Im Laden sinke ich atemlos in den nächstbesten Sessel und ergreife dankbar das Wasserglas, das Sascha mir reicht. Also mein Bedarf an Action ist für heute endgültig gedeckt.
    Gegen zehn Uhr abends stecke ich meinen Schlüssel in unsere Wohnungstür. Der Mietspiegel zwischen Lindenthal und Sülz ist menschenrechtsverletzend, sodass Normalsterbliche eigentlich nur davon träumen dürfen, in diesem Stadtviertel zu wohnen. Es tatsächlich auch zu tun, besitzt etwas Surreales. Ebenso, dass zu Hause jemand auf mich wartet. Vorher hatte ich nicht mal ´ne Katze.
    Felix ist der andere gewöhnungsbedürftige Teil meines neuen Daseins, das eine Menge Überraschungen bereithält, vor denen kein Beziehungsratgeber warnt und die man aus allen Hollywoodfilmen herausgeschnitten hat. Verständlicherweise. Welche Frischverliebte will schon aufs Butterbrot geschmiert bekommen, dass die rosa Wölkchen rasch durch den Geruch alter Socken verdrängt werden? Faszinierend, wo ich auf Felix´ Strümpfe stoße. Neulich fischte ich einen aus der Spülmaschine, Nummer zwei fand ich Wochen später in einem Kissenbezug.
    Ich wusste auch nicht, dass es Menschen gibt, die ihre Zähne täglich eine halbe Stunde mit Zahnseide misshandeln. Britta hatte ein Zahnfee-Trauma im Kindesalter vermutet und ein besorgtes Gesicht gezogen. Einen guten Ratschlag hatte sie neben ihren Witzeleien trotzdem nicht parat. Also löste ich das Problem auf dem kurzen Dienstweg, indem ich Felix´ Zahnpflege-Utensilien in die Gästetoilette verbannte. Er blockiert morgens nicht länger das Bad und ich muss kein schlechtes Gewissen haben, weil ich die vorgeschriebene Zeit beim Zähneputzen nie durchhalte. 
    „K-a-tt-ah?“, tönt Felix Stimme aus der Küche.
    Jedes Mal, wenn er auf diese Art und Weise meinen Namen sagt, erscheint vor mir das verwirrende Bild von Schokoladeneis auf bloßer Haut. Dabei verfüge ich über keinerlei persönliche Erfahrung mit dieser Metapher, ehrlich. Seine Schokostimme ist für mich genauso perfekt wie der Rest von Felix Sander. Abgesehen von dieser
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