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Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein

Titel: Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein
Autoren: Andreas Winkelmann
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Unterschied?«
    Uwe dachte über Derwitz’ Frage nach. Dabei starrte er einen Beinamputierten an, der sich auf Krücken einen Weg zwischen den Tischen und Stühlen hindurchsuchte. Machte es einen Unterschied, warum das Bein amputiert worden war? Es war weg, und der Mann musste damit leben. Sebastian war tot, damit mussten sie alle leben. Spielte es für die Zukunft noch eine Rolle, warum oder woran genau er gestorben war?
    »Nein, wohl nicht«, beantwortete er Derwitz’ und seine eigene Frage.
    Er löste seinen Blick von dem Einbeinigen und sah den Kommissar an. »Und was war mit den Ungereimtheiten in der Anstalt?«
    Derwitz zuckte mit den Schultern. »Das lässt sich kaum noch nachvollziehen. Dieser Schröder, merkwürdiger Typ übrigens, spinnt sich da wohl so einiges zusammen. Na ja,
er ist schwer krank und nimmt harte Medikamente, was will man da erwarten? In solchen Einrichtungen gibt es immer mal wieder Todesfälle. Gut, in dieser Anstalt waren es ein paar mehr, aber bis auf einen lässt sich keiner direkt mit der Brock in Verbindung bringen.«
    Uwe schob die Augenbrauen zusammen.
    »Bis auf einen?«
    »Ja. Es gab da eine Patientin, eine alte Frau, zu der die Brock viel Kontakt hatte. Die beiden haben sich um den Patientengarten gekümmert. Ein paar Wochen, bevor die Brock entlassen wurde, ist diese alte Frau gestorben. Eines Nachts erhängte sie sich mit einem Bettlaken in ihrem Zimmer, einfach so, ohne erkennbaren Grund.«
    »Und worin besteht die Verbindung?«
    »In den merkwürdigen Zeichnungen, die die alte Frau angeblich hinterlassen hat. Zwei Mitarbeiterinnen wollen sie gesehen haben. Kreise, Dreiecke, Wellenlinien – mit ihrem eigenen Blut auf die Boden gemalt. Ich habe den Mitarbeiterinnen ein Foto von Ellies Zeichnungen gezeigt, und sie fanden sie sehr ähnlich.«
    »Das ist unheimlich, oder?«, sagte Uwe und spürte tatsächlich eine leichte Gänsehaut auf seinen Armen.
    Derwitz sah ihn an. Sein Blick war unergründlich.
    »Wir wissen kaum etwas über Ellie Brock. Angefangen bei dem Motiv für die Ermordung ihres Mannes, bis hin zu den seltsamen Zeichnungen, die sie überall hinterlassen hat. Ich habe es aufgegeben, dafür nach einer Erklärung zu suchen. Ich habe es in dem Moment aufgegeben, als ich mich selbst fragte, ob ich nicht doch einen Experten für Okkultismus hinzuziehen soll, der die Bedeutung dieser Zeichnungen entschlüsseln kann. Das war der eine Schritt, den zu gehen ich nicht bereit war.«

    Uwe nickte. Er konnte Derwitz verstehen. Mit etwas Mühe würden sie sicher einen Experten finden, der nicht in die Kategorie Scharlatan fiel. Aber wollten sie dessen Antworten überhaupt hören? Was, wenn sie nur noch mehr Dunkel in die Angelegenheit bringen würden?
    Manchmal war es besser, nicht alles zu wissen.
    Manchmal war es besser, die Augen zu verschließen und die Erinnerung zu vertreiben. Um des eigenen Verstandes willen.
     
    Anna Schneider hatte sich verändert.
    Die Schrotladung hatte sie zwar nicht getötet, dafür aber Spuren hinterlassen, die niemals wieder verschwinden würden. Die vielen Narben an ihrem Oberkörper verdeckte die Kleidung, nicht jedoch die in ihrem Gesicht. Die Ärzte hatten ihre Nase wieder aufbauen können, und allein das war schon eine Meisterleistung, denn sie war kaum noch vorhanden gewesen. Auf dem rechten Auge war Anna blind. Sie trug in der Höhle eine Glaskugel, die nur entfernt etwas mit einem menschlichen Auge zu tun hatte. Irgendwann, wenn alle Behandlungen abgeschlossen waren, würde sie eine bessere bekommen. Gegen die tiefen Furchen in den Wangen und der Stirn waren die plastischen Chirurgen trotz all der modernen Technik hingegen machtlos. Genauso wie gegen die Verletzungen der Seele, gegen die die Fleischwunden geradezu lächerlich wirkten.
    Anna Schneider war eine schöne Frau gewesen, das hatte Saskia damals bei ihrem ersten Besuch auf dem Hof gleich so empfunden. Davon war nichts mehr übrig. Und als würden die Wunden der Schrotladung nicht reichen, hatten die vielen starken Medikamente Anna noch zusätzlich verändert. Das Morphium hatte sie Gewicht zulegen
lassen. Ihr Gesicht war dadurch und durch die immer noch nicht abgeklungenen Entzündungen überdimensional aufgedunsen. Während ihrer Besuche hatte Saskia zu ihrem Erschrecken festgestellt, dass Anna und Ellie sich ähnelten. Waren sie einst Schwestern gewesen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten, so hatte sich das, zumindest was das Äußere betraf, geändert.
    Zwei lange
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