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Hände weg vom Abendschatten!

Hände weg vom Abendschatten!

Titel: Hände weg vom Abendschatten!
Autoren: Lene Mayer-Skumanz
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zurück.
    „Schade“, sagte sie. „Der Michi wird nicht mehr mit uns Mathe üben. Sein Vater meint, es sehe nicht gut aus, wenn er als Arbeiter der Firma Morthand seinen Sohn zu mir schicke, der Arbeitsplatzvernichterin . Sein Vorgesetzter hat ihm angedeutet, dass es Schwierigkeiten mit der Werksleitung geben könne... Man erwartet Solidarität von den Angestellten... Armer Michi.“
    „Puh, er müsste ja seinem Vater nicht blind gehorchen, oder?“, fragte Marie-Theres. „Ich an seiner Stelle würde meinen Oldies einen Aufstand liefern.“
    „Still, Kind“, sagte Tante Mona. „Du steckst nicht in seinen Schuhen. Du hast das Glück, einen Vater zu haben, der von Morthand nicht abhängig ist.“
    Marie-Theres sprang auf, lief ins Vorzimmer und spulte ihr Anti-Stress-Programm ab. Der Fußboden vibrierte wie bei einem Erdbeben mittlerer Stärke, und das Pfeifen klang wütend.
    „Wer hat beobachtet, dass der Michi zu dir kommt?“, fragte Markus. „Wer hat das im Werk erzählt? Der alte Stenner von gegenüber? Oder der Vater vom Hans zum Beispiel?“
    „Alles möglich“, antwortete Tante Mona. „Allerdings arbeitet der Vater von Hans nicht mehr bei Morthand. Er ist vor einiger Zeit gekündigt worden. Nicht weil sein Arbeitsplatz vernichtet worden wäre, sondern weil ihn die Werksleitung wegen gewisser Unzulänglichkeiten gefeuert hat.“
    „Trinkt er?“
    „Das auch.“
    „Wo arbeitet er jetzt?“
    „Er ist arbeitslos, Markus.“
    „Ui... Und begreift der Hans, dass sein Vater wegen eigener Fehler den Posten verloren hat, oder schiebt er die Schuld der Bürgerinitiative und anderen so genannten Arbeitsplatzvernichterinnen zu?“
    „Es könnte sein, dass der Hans in seiner Beschränktheit Wirklichkeit und Werkspropaganda nicht auseinander hält. Das können ja in unserer Stadt nicht einmal alle Erwachsenen. Was soll dann so ein junger Kerl... Schau, Markus, jedes Kind möchte in seinem Vater einen guten, anständigen Menschen sehen. Es ist viel bequemer für Hans, anderen die Schuld zu geben.“
    „Und so kämpft er für seinen Vater, indem er dir blöde Botschaften per Coladose in den Garten schmeißt?“
    „Ich will gar nicht wissen, ob er es war.“
    „Aber ich, Tante Mona, ich will es wissen.“
    Marie-Theres kam erfrischt ins Zimmer zurück, streckte das Kinn angriffslustig vor und rief: „Und ich will wissen, warum Michi nicht wenigstens selber bei dir angerufen hat, Tante Mona! Ist er vielleicht ein Doppelagent?“
    Theodor spitzte die Ohren und knurrte leise, und Tante Mona sagte: „Ich habe Vertrauen zu Michi.“
    „Oh, er könnte aber neugierigen Leuten, zum Beispiel seinen werksabhängigen Eltern, über deinen Zustand berichten? Ob du schon knapp vor dem Aufgeben stehst, ob sie dich schon genügend zermürbt haben. Und so weiter. So was schafft doch auch ein Kind, oder? Dazu braucht einer kein Meisterdetektiv zu sein.“
    „Der Michi tut so was nicht“, behauptete Tante Mona und verteilte Papier und Bleistifte. „Leute, vergessen wir nicht den Zweck unseres Zusammenseins. Wenn unsere Stadt lächerliche 450 Hektar Acker- und Grünflächen und Schutzgebiete hat, wie viel Quadratmeter Erholungsfläche kommen auf eine Person?“
    „Ha, diesmal rechne ich aber mit 200 000 Einwohnern!“, brummte Markus. „Ich zähle ein paar ungeborene Enkel dazu!“
    „Faultier“, murmelte Tante Mona, aber Theodor schien mit Markus einverstanden zu seinen: Er legte sich über die Hausschuhe von Markus, schloss friedlich die Augen und tat sie erst wieder auf, als ungefähr sieben große Seiten mit Berechnungen aller Arten gefüllt waren.
    „Ihr wart toll“, sagte Tante Mona. „Ich lade euch zum Mittagessen in die Pizzeria neben St. Nikolaus. Das ist die katholische Pfarrkirche. Außerdem möchte ich dem Markus die schöne Nikolaus-Statue zeigen. Ich selbst bin ja evangelisch, aber ich liebe die alten Heiligenfiguren der Katholiken.“
    Sie holte ihr Auto aus der Garage, lud Hund und Kinder ein und kurvte durch den Stadtteil Bornheim. Sie schien nicht den geradesten Weg zu nehmen. Manchmal fuhren sie zweimal durch dieselbe Gasse. „Schau, schau“, murmelte Tante Mona. „Auch der Gemeindearzt baut mit Morthand -Zement. Oh, und was geschieht da im Kindergarten? Eine wunderbare neue Schaukel auf solidem Morthand -Zementfundament? Und was haben wir da?“ Sie parkte am Rand einer Grünanlage, kurbelte das Fenster herunter und zeigte auf eine kleine Baustelle. Eine riesige Reklametafel verkündete den
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