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Haben oder Nichthaben

Haben oder Nichthaben

Titel: Haben oder Nichthaben
Autoren: Ernest Hemingway
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einer Sauftour», sagte ich zu ihm.
    «Es ist sehr gefährlich, allein zu fahren.»
    «Es sind nur neunzig Meilen», sagte ich. «Meinen Sie, es macht einen Unterschied, ob man einen Süffel an Bord hat oder nicht?»
    Ich brachte das Boot zum Standard Oil-Dock auf der anderen Seite des Hafens und füllte beide Tanks auf.
    Es faßte beinah zweihundert Gallonen, wenn es voll war. Es war mir gräßlich, 28 Cents für die Gallone zu bezahlen, aber wer weiß, wo wir hinfuhren.
    Von dem Moment an, wo ich den Chink gesprochen und das Geld von ihm genommen hatte, machte ich mir Gedanken über das Geschäft. Ich glaube, ich schlief die ganze Nacht nicht. Ich brachte das Boot zum San Francisco-Dock zurück, und da stand Eddy auf dem Kai und wartete auf mich.
    «Tag, Harry», sagte er zu mir und winkte. Ich warf ihm die Achterleine zu, und er machte sie fest und kam dann an Bord, länger, trübseliger, besoffener denn je. Ich sprach kein Wort mit ihm.
    «Wie findest du das von dem Kerl, dem Johnson, einfach so abzuhauen, Harry?» fragte er mich. «Was sagst du dazu?»
    «Mach, daß du hier rauskommst», sagte ich zu ihm. «Du bist zum Kotzen.»
    «Mensch, mir geht’s doch genauso an die Nieren wie dir.»
    «Mach, daß du hier herunterkommst», sagte ich zu ihm.
    Er rekelte sich einfach in seinem Stuhl zurecht und streckte die Beine von sich. «Ich höre, daß wir heute rüber fahren», sagte er. «Na, wahrscheinlich hat’s keinen Zweck, länger hierzubleiben.»
    «Du kommst nicht mit.»
    «Was ist denn los, Harry? Hat doch keinen Sinn, mit mir Stunk zu machen.»
    «Nein? Mach, daß du hier runterkommst.»
    «Na, man immer sachte.»
    Dann langte ich ihm eine, und er stand auf und kletterte auf den Kai hinauf.
    «Das würde ich dir nicht antun, Harry», sagte er.
    «Damit hast du verdammt recht», sagte ich zu ihm. «Ich nehm dich nicht mit und damit basta.»
    «Na, wozu mußtest du mir denn eine reinhauen?»
    «Damit du’s glaubst.»
    «Was soll ich denn tun? Hierbleiben und verhungern?»
    «Verhungern, Teufel noch mal», sagte ich. «Nimm doch den Dampfer zurück. Du kannst ja deine Überfahrt abarbeiten.»
    «Du behandelst mich nicht anständig», sagte er.
    «Wen hast du schon im Leben anständig behandelt, du Süffel?» sagte ich zu ihm. «Du würdest deine eigene Mutter reinlegen.»
    Das war wahrhaftig wahr. Aber mir war scheußlich zumute, weil ich ihn geschlagen hatte. Sie wissen ja, wie man sich fühlt, wenn man einem Betrunkenen eine reinhaut. Aber wie die Dinge jetzt standen, konnte ich ihn nicht mitnehmen, selbst wenn ich gewollt hätte.
    Er schlenderte los, am Hafen lang, und sah länger aus als ein Tag ohne Frühstück. Dann machte er kehrt und kam zurück.
    «Wie wär’s, Harry, könntest du mir ein paar Dollar geben?»
    Ich gab ihm einen von den Fünf-Dollar-Scheinen von dem Chink.
    «Ich hab immer gewußt, daß du mein Freund bist, Harry; warum nimmst du mich nicht mit?»
    «Du bringst mir Pech.»
    «Du bist einfach eingeschnappt», sagte er. «Macht nichts, alter Junge. Du wirst dich noch mal freuen, wenn du mich siehst.» Jetzt, wo er das Geld hatte, ging er bedeutend schneller weg, aber es konnte einem schlecht werden, wenn man ihn nur gehen sah. Er ging, als ob alle seine Gelenke verkehrtherum säßen.
    Ich ging zur Perla rauf und traf den Makler, und er gab mir die Papiere, und ich spendierte ihm einen Schnaps. Dann aß ich zu Mittag, und Frankie kam rein.
    «Jemand hat mir das für dich gegeben», sagte er und reichte mir eine in Papier eingewickelte, zusammengerollte Art Röhre, die mit einem Stück roter Schnur zusammengebunden war. Als ich auswickelte, sah es wie eine Fotografie aus, und ich rollte es auf und dachte, daß es vielleicht ein Bild von meinem Boot war, das irgendwer am Hafen aufgenommen hatte.
    Na schön. Es war eine Großaufnahme, Kopf und Brust von einem toten Nigger, die Gurgel von einem Ohr zum andern klar durchgeschnitten und dann sauber zusammengenäht und ein Zettel auf der Brust, auf dem in Spanisch stand: «So machen wir’s mit lenguas largas.»
    «Wer hat’s dir gegeben?» fragte ich Frankie.
    Er zeigte auf einen spanischen Jungen, der am Hafen Gelegenheitsarbeit macht, den die Schwindsucht beinahe erledigt hat. Der Junge stand am Büfett.
    «Sag ihm, er soll herkommen.»
    Der Junge kam rasch. Er sagte, zwei junge Kerls hätten es ihm so um elf Uhr gegeben. Sie hätten ihn gefragt, ob er mich kenne, und er habe «Ja» gesagt. Er gab es Frankie für mich. Sie hatten ihm einen
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