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Gute Nacht Zuckerpüppchen

Gute Nacht Zuckerpüppchen

Titel: Gute Nacht Zuckerpüppchen
Autoren: Heide Glade-Hassenmüller
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Vielleicht hat er noch Post von Vati.« Er schlug seine Wolldecke wie einen Mantel um die Schultern, so daß er aussah wie ein alter Hirte. »Ich gehe mit.«
    Halb versteckt hinter ihrem Bruder stand Gaby, als Achim die Sicherheitskette löste, und die Tür öffnete.
    »Na endlich«, sagte der Mann erleichtert und lachte breit. Das Licht des Treppenhauses fiel auf sein gebräuntes Gesicht und zauberte glänzende Kringel auf seine Halbglatze. Neben ihm stand ein prall gefüllter Rucksack und ein Koffer, der von Schnüren und Riemen zusammengehalten wurde. Vor seinem Bauch baumelte eine große Tasche wie ein Krämerladen.
    »Wollt ihr eine Tafel Schokolade?« fragte der Mann und reichte Gaby einen silbern verpackten Riegel. Zu Achim sagte er: »Mach deine Mutter wach. Sag ihr, Anton Malsch ist hier. Ein guter Freund von Ferdi.«

    Eine Stunde später saß Gaby bei Onkel Malsch auf dem Schoß und kaute unbekannte Köstlichkeiten: rosarote, gelbe und mintgrüne Oblaten, die ungeahnt lieblich auf der Zunge zergingen. Kekse, gefüllt mit einer braunen Creme, die an den Zähnen klebte. Sie schmeckte wie der Kaffee, den Mutti sonntags mit Frau Weitgaß aufbrühte. Gaby durfte dann etwas Kaffeesatz probieren. »Davon wird man schön«, behauptete Frau Weitgaß. Gaby wollte schön werden wie Mutti, und außerdem liebte sie den krümelig bitteren Geschmack.
    Jetzt ließ sie sich von Onkel Malsch vollstopfen mit Keksen, Schokolade und sauren rot-weißen Bonbons.

    Später machte Achim ihr Vorwürfe: »Wie kannst du mit einem Fremden so herumschmusen? Nur wegen etwas zu essen?«
    »Nicht wahr«, protestierte Gaby und hängte sich halb über ihr Bett, um ihren Bruder unten besser sehen zu können. »Du hast doch auch von der Schokolade und von den Keksen gegessen.«
    »Aber ich habe den Mann dafür nicht abgeschleckt. Er ist doch ein Freund von Vati.« Gaby legte sich wieder hin und zog die Decke hoch. »Er hatte sogar ein Foto mit Vati darauf.«
    Auf dem Foto stand Vati fröhlich lachend, eine Hand auf der Schulter des Herrn Malsch, mit der anderen Hand winkte er.
    »Das war in Ägypten«, erklärte Achim. »Da ist der Malsch in Gefangenschaft gekommen. Vati mußte noch nach Berlin. Dort ist er auch gefallen.«
    »Ja«, sagte Gaby. »Aber Onkel Malsch finde ich doch nett.«

    Die ersten Wochen schlief Onkel Malsch auf der alten Couch in der Küche. Frau Weitgaß hatte es erlaubt, als Onkel Malsch ihr dafür ein Pfund Kaffee gab. »In die Tschechoslowakei kann ich nicht zurück. Da sitzt der Russe, und wer weiß, wie das noch wird.«
    Frau Weitgaß nickte und seufzte. »Wir können froh sein, daß der Russe nicht in Hamburg ist. Vor der Tür steht er sozusagen schon.«

    Nach einigen Wochen besorgte Onkel Malsch ein richtiges Bett auf dem schwarzen Markt, und das kam in Muttis Zimmer. Für die Küche war es zu groß, und außerdem ging das auf die Dauer nicht, ein Bett in der Küche. Oma Brinkjewski schlief schlecht und saß stundenlang nachts am Küchentisch und starrte auf alte Fotos. Dann schlief sie im Sitzen wieder ein und schnarchte laut. Mutti schnarchte nicht.
    »Nennt Herrn Malsch bitte Onkel Anton«, sagte Mutti. »Er bleibt erst einmal bei uns.«

    Achim mochte Onkel Anton nicht, und Onkel Anton mochte Achim nicht. Natürlich sagte es keiner von ihnen. Onkel Anton meckerte nur dauernd über Achim. »Ein richtiges Muttersöhnchen«, warf er Mutti vor. »Wie kann man einem Jungen eine Klemme ins Haar stecken! Wie ein Baby sieht er aus, und das mit zehn Jahren. Den werde ich mir einmal richtig vornehmen.«
    Er ging mit Achim zum Friseur und ließ die schöne Tolle, die Mutti mit einer Haarklemme zur Seite steckte, ganz kurz schneiden. Dann mußte Achim sich morgens eiskalt waschen. Mutti hatte immer als erstes einen Kessel warmes Wasser in die Keramikschüssel gegossen. »Quatsch«, sagte Onkel Anton. »Der Junge muß abgehärtet werden. Und vor dem Frühstück holst du die Kohlen aus dem Keller.« Das fand Gaby gemein, denn die volle Kohlenschütte war schwer, und fünf Stockwerke hoch machten sie noch schwerer. Und Onkel Anton bestand darauf, daß die Schütte voll gefüllt war. Spöttisch ließ er Achim seine Ärmel aufrollen. Er drückte auf die weißen Kinderarme. »Pudding, nur Pudding, das müssen Muskeln werden.« Mutti seufzte und wußte nichts zu sagen.
    »Das hätte sein Vater auch gewollt«, sagte Onkel Anton und sah Mutti zwingend an. »Diese Weiberwirtschaft ist doch nichts für einen richtigen Kerl. Der
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