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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition)
Autoren: Nir Baram
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während seines Studiums entzündet. Damals hatte er sich mit einem amerikanischen Studenten der Volkswirtschaft angefreundet, und dieser hatte ihm von der Milton-Group und ihren fortschrittlichen Markforschungsstudien erzählt, die den Europäern um wenigstens ein Jahrzehnt voraus seien. Dies war einer der wenigen Lichtblicke während seines Studiums an der Universität Berlin gewesen. Die meiste Zeit war ihm sein Philosophie-Studium, das er auf Drängen der Mutter ergriffen hatte, als reine Zeitverschwendung erschienen, und in dem Augenblick, in dem er sein Magisterzeugnis in den Händen hielt, hatte er sich auf Nimmerwiedersehen empfohlen.
    Im Winter 1926 war er als Dreiundzwanzigjähriger nach London gefahren, um sich mit einem Amerikaner namens Jack Fisk zu treffen, dem damaligen Direktor der Europaabteilung der Milton-Group für Marktforschung. Wochenlang hatte er – zusammen mit einem amerikanischen Lehrer, den er engagiert hatte – an den englischen Sätzen gefeilt, mit denen er sich dort vorstellen wollte. Hatte schließlich auf dem gepolsterten Ledersessel im geräumigen Büro des Direktors Platz genommen, dessen von Falten zerfurchtes Gesicht und mächtiger Schnauzbart ziemlich einschüchternd wirkten, und neugierig die riesige Weltkarte in den Farben Blau, Rot und Weiß betrachtet, auf der Fähnchen die zahlreichen Niederlassungen von Milton markierten. Beim Anblick dieser prahlerischen Karte verstand er, dass er recht gehabt hatte, eine etwas grobschlächtige und vereinfachende Form der Selbstpräsentation zu wählen, die bei deutschen Direktoren mit ziemlicher Sicherheit auf Ablehnung gestoßen wäre, hier jedoch vermutlich angebracht war.
    Jack Fisk beäugte ihn misstrauisch, als könnte er nicht begreifen, woher dieser junge Berliner in seinem geckenhaften Anzug mit einem Mal aufgetaucht war, ein himmelblaues Tuch um den Hals gebunden und eine Nelke im Revers. Thomas schlug seine langen Beine übereinander, bot dem Amerikaner von seinem vorzüglichen holländischen Tabak an, entzündete sich eine Pfeife, fragte leutselig, woher die Anregung für den an ein Piratenschiff erinnernden Arbeitstisch stamme, und begann: »Mein lieber Mister Fisk, ich habe von Ihrem Plan gelesen, in Bälde eine neue Milton-Niederlassung auf dem alten Kontinent zu eröffnen, und zwar bei uns zu Hause, in Berlin. Zunächst erlauben Sie mir, Sie im Namen aller Berliner zu beglückwünschen. Sicher haben Sie als versierter Marktforscher Ihre Chancen auf dem europäischen Markt bereits sondiert. Seien wir ehrlich: Miltons Schritte in Europa sind noch ein wenig wacklig, ja, mit Bedauern lässt sich sagen, dass Sie noch nicht recht auf dem Kontinent angekommen sind. In Berlin wird es zweifellos auch nicht ganz einfach werden. Woher ich das weiß? Nun, das ist ganz einfach. Jede Gemeinschaft hat ihren besonderen Kanon von Anlagen, und die Marktforschungsparameter, die auf die Amerikaner angewendet wurden, könnten sich als ungeeignet erweisen, um uns, die Deutschen, zu charakterisieren. Aus gewissen Quellen habe ich erfahren, dass Sie sich bei Ihren Treffen mit deutschen Firmen der Forschungsmethoden Miltons rühmen und deren Wissenschaftlichkeit herausstellen. Die einzige Wissenschaft aber, die hier funktioniert, ist die der Nationalseele der Deutschen, und da wollen Sie, mein verehrter Herr, mit Ihren Dollars auftauchen und die Deutschen lehren, wie sie ihr Geld verprassen sollen? Verehrtester, Sie verstehen das Deutschtum nicht. Doch da sind Sie nicht der erste und auch nicht der letzte. Das Deutschtum ist schwer zu verstehen. Manche sind überzeugt, unsere Tradition, unsere Forschung, Kunst und Philosophie hätten hier ein faszinierendes Mosaik an Phänotypen erzeugt. Bedauerlicherweise jedoch ist die deutsche Seele viel einfacher beschaffen. Allerdings ist hier von einer Simplizität die Rede, zu der man erst nach einigem Entwirren Zugang erlangt. Verstehen muss man, zum Beispiel, was das deutsche Bildungsbürgertum ist. Auch wenn der letzte Zug in einem Schachspiel stets einfach erscheint, so hat ihm doch intensive Planungsarbeit vorauszugehen.«
    »Gerade in jüngster Vergangenheit hat Milton erhebliche Anstrengungen unternommen, sich mit dem deutschen Markt vertraut zu machen«, meinte Fisk und machte es sich mit einem Stirnrunzeln in seinem Sessel bequem. Thomas hatte den Eindruck, dass ihm das Treffen nachgerade Vergnügen bereitete und dass er ihn provozierte, um ihn auf die Probe zu stellen.
    »Bei allem Respekt,
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