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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition)
Autoren: Nir Baram
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unterrichtet, seinetwegen habe ich Ernst Jünger eingeladen, einen unserer größten Schriftsteller, und der Junge fragt ihn bloß, ob er schon einmal in Amerika gewesen sei … Das Beste und Vorzüglichste habe ich ihm geboten, und er? Wird noch dem schnöden Mammon seine Seele verkaufen. Gucken Sie ihn sich an, onduliert sich die Haare wie eine Frau, treibt sich den ganzen Tag auf der Straße mit diesem Hermann Kritzinger herum, dem Sohn von diesem Betrüger, der gefälschte Patente verkauft.« Der Spiegel im Zimmer seiner Mutter hatte zwei Flügel, die sich nach rechts und nach links aufklappen ließen. So entstand eine Art stumpfes Dreieck, das die Spiegelbilder vervielfachte. Er hatte es geliebt, die Flügel zu verstellen, und schon zerflossen und verzerrten sich die Gesichter der beiden Damen. Er hatte es geliebt, die Flügel in einen Winkel zueinander zu bringen, der so viele verschiedene Gesichter wie möglich tanzen ließ.
    »Thomas, das ist alles, worum ich bitte«, flüsterte seine Mutter.
    Er konnte die flatterige Berührung ihrer Finger nicht länger ertragen, die das sanfte Streicheln noch in sich barg, das es nie wieder geben würde. »Ich muss zu einem Treffen, Mutter. Die Kunden haben eine Liste von Forderungen vorgelegt, die wir nicht erfüllen können. Die Zeiten haben sich geändert, die Leute hocken auf ihrem Geld, haben Angst vor einem Krieg …« Der Drang, von ihr wegzukommen, versetzte jeden Muskel seines Körpers in Anspannung.
    Offenbar hatte seine Mutter verstanden. Sie bedachte ihn mit einem kühlen, distanzierten Blick, der ihn wieder zu einem gescholtenen Knaben werden ließ – sieh an, noch immer war er dabei, wie ein Bettler mütterliche Blicke aufzulesen –, und schloss ihre kalten Finger um seine Hand. Jetzt würde es noch schwerer sein, sich freizumachen.
    »Dann gestatte Frau Stein wenigstens, so lange zu bleiben, bis du zurückkommst. Ich möchte heute nicht allein sein.«
    »Wenn es denn sein muss, Mutter«, stieß er schließlich hervor.
    Ein glückliches Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht. Schnell gab sie seine Hand frei, und er konnte gehen.
    »Wie flüchtig die Liebe Ihrer Mutter ist«, hatte Erika Gelber ihm einmal gesagt. Er verließ den Raum und stieß abermals fast mit Frau Stein zusammen, die die Handtücher fest an die Brust gedrückt hielt.
    Wasser tropfte zu Boden. Indigniert warf er einen Blick darauf. Nichts ihm Gesicht von Frau Stein zeugte von Befriedigung, dennoch wusste er, dass sie sich insgeheim an seiner Niederlage erfreute.
    ***
    Thomas wies den Fahrer an, den Wagen vor dem Gebäude abzustellen, damit die Gäste den neuen Mercedes-Benz der Milton-Group auch zu sehen bekämen, und eilte im Laufschritt die Stufen empor. Dabei löste er seine Gedanken von Frau Stein und richtete sie mit aller Macht auf das bevorstehende Treffen mit den Kunden. (Erika Gelber, seine Psychoanalytikerin, glaubte nicht, dass er in der Lage wäre, sein Bewusstsein zu kontrollieren, oder dass ein fester Vorsatz ausreichte, um sein ganzes Wesen auf eine bestimmte Angelegenheit zu fokussieren. »Ihr Seelenklempner habt zu wenig Vertrauen in die Willensstärke«, hatte er einmal zornig zu ihr gesagt.) Er legte seinen Mantel ab und überließ ihn dem Portier mit einem warnenden Blick: Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, von der Lohnerhöhung anzufangen oder mir wieder zu erzählen, dass deine Tochter geheiratet hat und eine Wohnung braucht.
    In der Zwischenzeit hatte er sich die Rede zurechtgelegt, die er bei dem Treffen halten würde: In den nächsten Monaten sei nicht mit einem signifikanten Anstieg beim Verkauf von Luxuslimousinen zu rechnen. Insbesondere, da der Volkswagen sich derartiger Beliebtheit erfreue. Auch die Wohlhabenden fänden zunehmend Gefallen an diesem armseligen Gefährt. Daher müsse Daimler-Benz ein neues Projekt in Angriff nehmen, volksnah, aber dennoch Prestige ausstrahlend, ein Fahrzeug, das nicht protze, das die einfachen Leute anspreche, aber zugleich jene fasziniere, die es nach Glanz verlange – kurzum, es gälte den Volkswagen des kommenden Jahrzehnts zu erfinden.
    Thomas stand in seinem Büro – seine Arbeitszeit verbrachte er zumeist und bevorzugt im Stehen, eine Haltung, die ihn mit einem Gefühl von Vitalität und Stärke erfüllte – und bestellte die beiden Sekretärinnen zu sich. Bereits vor einer Woche hatte er allen Mitarbeitern eröffnet, dass sie an diesem Tag bis in die Abendstunden im Büro zu bleiben hätten. Den Leuten von
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