Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition)
Autoren: Nir Baram
Vom Netzwerk:
Blieb nur zu hoffen, dass das Auswärtige Amt bei seinen Kontakten zu anderen Staaten größere Raffinesse an den Tag legte.
    »Ein wirklich gewagtes Vorgehen heutzutage, jüdische Ideen zu verwenden, um den Deutschen oder sogar den Polen Waren zu verkaufen.« Jetzt sprach Weller mit klarer Betonung der Worte, und seine Stimme klang laut und deutlich.
    »Wir verwenden keine jüdischen Ideen.« Thomas trat auf Weller zu und bedachte ihn mit vorwurfsvollem Blick. »Es handelt sich hier um unsere eigene Entwicklung einer nationalen Kaufpsychologie, die lange vor dem Auftauchen der Psychoanalyse in ihrer jetzigen Form, zu deren Anhängern ich mich – nebenbei bemerkt – nicht zähle, ausgebildet wurde. Wir, das heißt Milton-Berlin, leiten die dekadenten Prinzipien der jüdischen Psychoanalyse in rationale und produktive Bahnen, die dem Geist des deutschen Menschen entsprechen. Zu diesem Zweck habe ich diese Abteilung gegründet, um in die Diskussion über eine Vervollkommnung der Fähigkeiten des Menschen echtes Deutschtum einfließen zu lassen.«
    »Sie verstehen sich wirklich auf die Kunst der Formulierung.« Georg Weller kam von seinem Stuhl hoch. »Herr Heiselberg, es war mir eine Ehre, Sie kennengelernt zu haben, ich kam rein zufällig vorbei und werde Ihnen Ihre kostbare Zeit nicht länger rauben. Bitte übermitteln Sie Herrn Mailer meine herzlichsten Grüße.« Damit reichte er Thomas über den Tisch die Hand. Sein Händedruck war schlaff. »Ich denke, dass Sie schon bald zu einem ordentlichen Treffen ins Auswärtige Amt bestellt werden«, fügte er noch hinzu.
    »Es wird der Milton-Group eine große Ehre sein«, erwiderte Thomas, stieß die schwere Holztür vor sich auf und geleitete den Gast über den Flur, wobei er noch ein paar Worte über die strengen Aufnahmeprüfungen für neu einzustellende Mitarbeiter verlor, welche Milton zuletzt in Abstimmung mit dem SD eingeführt hatte. Weller nickte und putzte die Gläser seiner Brille mit einem Taschentuch, in das seine Initialen gestickt waren. Sie blieben ihm Foyer stehen, dessen ausladende Fenster auf eine schmale, von Pappeln gesäumte Straße gingen. Unter den Fenstern standen im Halbrund des Eingangsbereiches Straßenbänke nach Art der französischen Riviera. Etwas an dem Gebäude beschämte Thomas, ähnlich dem Flur seiner Mutter. In jeder Ecke thronte eine Springbrunnenskulptur mit einer Lanze aus Alabaster an der Spitze – das Werk eines amerikanischen Bildhauers. Sie wechselten noch einige Höflichkeitsfloskeln und verabschiedeten sich abermals mit schlaffem Händedruck.
    ***
    Die Stunden verrannen, und außer dem Nachtwächter war Thomas bald der einzige in den Büroräumen der Firma. Sollte er Carlson von dem nicht stattgefundenen Treffen in Kenntnis setzen? Und warum waren die Leute von Daimler-Benz nicht erschienen? Nachdem Weller verschwunden war, hatte er die Mitarbeiter im Büro befragt. Niemand wusste etwas oder hatte irgendeine Nachricht in Empfang genommen. Carlson blieb unauffindbar. War er nicht ins Büro gekommen, weil er rechtzeitig genug gewusst hatte, dass das Treffen abgesagt war? »Vielleicht, vielleicht, vielleicht«, murmelte Thomas. Dabei gab es im Moment wahrlich keinen Grund, Trübsal zu blasen: War die Zusammenkunft mit einem hochrangigen Beamten des Auswärtigen Amtes nicht besser als ein Treffen mit irgendeinem weiteren Kunden? Schon überlegte er, welchen Kunden es sich lohnen würde, diese Information zuzuspielen. Es galt, die Nachricht mit begrenzter Verbreitung zu streuen, am besten in Form eines zirkulierenden Gerüchts. Das war eine Taktik, die er meisterlich beherrschte. Und dennoch wäre er zufriedener gewesen, wenn die Leute von Daimler-Benz heute zu dem Treffen erschienen wären.
    Er schritt durch die halbdunklen Flure und blieb vor der Haupttür stehen. Schüttelte leicht sein Sakko aus, strich sich mit der Hand über die Haare, gab seinem Gesicht einen aufgeräumten Ausdruck und lief die Treppe hinab. Er liebte es, nachts auf die kleine Straße vor dem Gebäude zu treten. Wenn er unter dem Dach der Pappeln stand, stellte er sich vor, in einem tiefen Wald zu sein, tauchte ein in die Finsternis, die ihn verschlang, die die Konturen seines Körpers auflöste, während er tastend seinen Weg bis zur Kreuzung nahm. Einige leichtfüßige Schritte nur, und er war draußen.
    Lichter spritzten von allen Seiten auf. Für einen Moment schloss er geblendet die Augen. Wie sehr liebte er es, aus der Dunkelheit in die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher