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Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Titel: Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
Autoren: Gianrico Carofiglio
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alle, Polizisten, Carabinieri, Staatsanwälte, Verteidiger, Richter? Wir erzählen Geschichten. Wir nehmen die Indizien – unsere Stoffe -, strukturieren sie entsprechend und fügen sie zu sinnvollen Geschichten zusammen, die auf plausible Art und Weise über etwas berichten, was sich in der Vergangenheit zugetragen hat. Unsere Geschichte ist glaubwürdig, wenn sie sämtliche Indizien erklärt, keines auslässt und in sich stimmig ist.
    Ihre Stimmigkeit wiederum basiert im Wesentlichen auf den Erfahrungswerten, die wir zu Grunde legen, wenn wir sie uns einfallen lassen .
    Gut. Dann lassen Sie uns jetzt kurz die beiden Geschichten betrachten, die sich mit dem Stoff, der in diesem Prozess zusammengekommen ist, erzählen lassen.
    Die erste, also die, die uns das Urteil aus erster Instanz erzählt, ist denkbar einfach. Paolicelli beschafft sich in Montenegro eine große Menge an Rauschgift; er versteckt dieses Rauschgift in seinem Wagen und versucht es über die italienische Grenze zu schmuggeln. Die Zollbeamten kommen ihm jedoch auf die Schliche und nehmen ihn fest. Und darüber hinaus gesteht er auch noch.
    Diese Geschichte baut auf einer einzigen, bedeutsamen Tatsache auf, der Tatsache nämlich, dass in Paolicellis Wagen bei Grenzübertritt Drogen gefunden wurden. Um von diesem gesicherten Fakt zum ungesicherten Tathergang in der Vergangenheit zu gelangen, sprich, zur Geschichte, die uns das erstinstanzliche Urteil erzählt, müssen wir logisch vorgehen.
    Aber woher weiß ich eigentlich, dass die Geschichte sich so zugetragen hat, wie ich es schildere? Ist doch klar: Das sagt mir die Erfahrung. Wenn jemand Drogen in seinem Wagen hat, gehören sie ihm. Logisch.
    Ich berufe mich also auf einen Erfahrungswert. Einen Erfahrungswert, der höchste Glaubwürdigkeit besitzt, weil er dem gesunden Menschenverstand entspricht. Wenn jemand etwas in seinem Wagen hat (und erst recht etwas von großem Wert), so gehört das ihm. Das sagt mir die Erfahrung. Das ist die Regel. Aber eine Regel ist kein wissenschaftliches Gesetz. Und vor allem: Sie lässt Ausnahmen zu, Alternativen.
    So weit zur Geschichte, die uns das Urteil aus erster Instanz erzählt. Der Staatsanwalt fügt dem noch hinzu, dass die im Berufungsprozess neu hinzugekommenen Elemente mit dieser Geschichte nicht unvereinbar sind. Und er hat Recht.«
    Ich warf einen Blick zu Montaruli hinüber, bevor ich fortfuhr.
    »Das ist aber nicht alles. Mit exakt denselben Elementen lässt sich nämlich auch eine andere Geschichte erzählen. Hören Sie zu:
    Eine Familie fährt nach Montenegro, um eine Woche Urlaub am Meer zu verbringen. Nachts steht ihr Wagen auf dem Parkplatz des Hotels; der Schlüssel muss beim Portier abgegeben werden, der das Fahrzeug bei Bedarf umparkt. In der Nacht vor der Abreise der Familie nimmt ein Unbefugter die Schlüssel an sich. Jemand, der sicher weiß, dass die Paolicellis am darauf folgenden Morgen mit ihrem Wagen nach Italien zurückkehren.
    Dieser Jemand schraubt mit irgendwelchen Gehilfen das Bodenblech des Fahrzeugs von Paolicelli ab – des Fahrzeugs von Paolicellis Frau, um es genauer zu sagen – und versteckt vierzig Kilo Kokain in den Hohlräumen der Karosserie. Dann bringt er Wagen und Schlüssel zurück. Ein gutes System, um ein höchst lukratives Geschäft bei minimalem Risiko abzuwickeln. Ein Geschäft, das von einer straff organisierten Vereinigung durchgeführt wird, einer Bande, die auf diese Art von illegalem Handel spezialisiert ist und in der jedes Mitglied seine Rolle und sein Aufgabengebiet hat. Zu diesen Aufgaben gehört es sicher auch, den Transport der Ware aus allernächster Nähe zu überwachen, um sicherzustellen, dass alles glatt läuft; man folgt dem ahnungslosen Drogenkurier und nimmt ihm das Rauschgift wieder ab, sobald er auf italienischem Boden ist. Letzteres geschieht vermutlich durch den Raub des Fahrzeugs.
    Diesmal läuft am Grenzübergang Bari jedoch etwas schief. Die Zollfahnder entdecken die Drogen und nehmen Paolicelli fest. Sie verhören ihn – ohne einen Pflichtverteidiger, was an und für sich schon ein gravierender Verfahrensfehler ist -, und Paolicelli gesteht die Tat – aber nur, um seine Frau vor der Festnahme zu bewahren, ich denke, das leuchtet jedem ein.
    Unmittelbar nach der Verhaftung ihres Mannes wird Frau Paolicelli unter äußerst merkwürdigen Umständen ein Rechtsanwalt aus Rom empfohlen, ein gewisser Macrì. Dieser Macrì ist kein unbeschriebenes Blatt und ist schon einmal mit der Justiz in
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