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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
Autoren: Heinrich Böll
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geboten bekommen, sie wäre – wie man so hübsch sagt – gewiß mit Feuereifer in eine solche Materie »eingestiegen«.
     Angesichts der Magerkeit des Biologieunterrichts blieben ihr viele Freuden versagt, die sie nun im Alter, komplizierte organische
     Vorgänge mit einem billigen Aquarellkasten nachzeichnend, erst findet. Wie die van Doorn glaubwürdig versichert, ist ihr ein
     Detail aus Lenis vorschulischer Existenz unvergeßlich und bis heute so wenig »geheuer« wie Lenis Genitalientafeln. Schon als
     Kind hat Leni sich leidenschaftlich für ihre exkrementale Unterworfenheit interessiert und – leider! – vergebens Auskunft
     darüber verlangt, mit der Frage: »Verflucht, was ist das für ein Zeug, das aus mir herauskommt?« Weder ihre Mutter noch die
     van Doorn gaben ihr diese Auskunft!
    Erst dem zweiten der beiden Männer, denen sie in ihrem bisherigen Leben beiwohnte, ausgerechnet einem Ausländer, dazu noch
     einem Sowjetmenschen, blieb es vorbehalten zu entdecken, daß Leni zu erstaunlichen Sensibilitäts- und Intelligenzleistungen
     fähig war. Ihm auch erzählte sie, was sie – zwischen Ende 43 und Mitte 45 war sie viel weniger schweigsam als heute – später
     Margret wiedererzählte: daß die erste und volle »Seinserfüllung« ihr widerfahren war, als sie, sechzehnjährig, soeben aus
     dem Internat entlassen, mit dem Fahrrad an einem Juniabend unterwegs, auf dem Rücken im Heidekraut liegend, »ausgestreckt
     und ganz hingegeben« (Leni zu Margret), mit dem Blick zum eben erglühenden Sternenhimmel, in den noch Abendrot hineinleuchtete,
     jenen Punkt von Glückseligkeit erreichte, der heutzutage viel zu oft angestrebt wird; Leni – so erzählte sie Boris, wie sie
     Margret erzählt hat – hatte an diesem Sommerabend des Jahres 1938, als sie dahingestreckt und »geöffnet« auf dem warmen Heidekraut
     lag, ganz und gar den Eindruck, »genommen« zu werden und auch »gegeben« zu haben, |34| und – so erläuterte sie später Margret – sie wäre nicht im geringsten erstaunt gewesen, wenn sie schwanger geworden wäre.
     So ist ihr denn auch die Jungfrauengeburt keineswegs unbegreiflich.
     
    Leni verließ das Lyzeum mit einem peinlichen Zeugnis, auf dem sie in Religion und Mathematik mangelhaft bekam. Sie kam für
     zweieinhalb Jahre auf ein Pensionat, wo sie in Haushaltskunde, Deutsch, Religion, ein wenig in Geschichte (bis zur Reformation),
     auch in Musik (Klavier) unterrichtet wurde.
     
    Hier müssen, bevor einer verstorbenen Nonne ein Denkmal gesetzt wird, die für Lenis Bildung so entscheidend wurde wie der
     noch ausgiebig zu erwähnende Sowjetmensch, drei noch lebende Nonnen als Zeuginnen erwähnt werden, die, obwohl ihre Begegnungen
     mit Leni vierunddreißig bzw. zweiunddreißig Jahre zurückliegen, sich ihrer noch lebhaft entsannen und die alle drei, vom Verf.
     mit Bleistift und Notizblock an drei verschiedenen Orten aufgesucht, sobald Leni erwähnt wurde, in den Ruf ausbrachen: »Ach
     ja, die Gruyten!« Dem Verf. erscheint dieser gleichlautende Ausruf bedeutsam, da er beweist, wie eindrucksvoll Leni gewesen
     sein muß.
    Da nicht nur der Ausruf »Ach ja, die Gruyten!«, auch gewisse körperliche Eigenschaften den drei Nonnen gemeinsam sind, können
     einige Details aus Gründen der Zeilenersparnis synchronisiert werden. Alle drei haben das, was man eine pergamentene Haut
     nennt: zart über magere Wangenknochen gespannt, gelblich, ein wenig zerknittert; alle drei boten dem Berichterstatter Tee
     an (oder ließen anbieten). Nicht aus Undankbarkeit, lediglich um der Sachlichkeit willen muß gesagt werden, daß der Tee bei
     allen dreien nicht sehr stark war; alle drei boten trockenen Kuchen an (oder ließen anbieten); alle drei |35| begannen zu husten, als der Verf. zu rauchen anfing (unhöflicherweise ohne gefragt zu haben, da er ein Nein nicht riskieren
     wollte); alle drei empfingen ihn in fast identischen Sprechzimmern, die mit religiösen Drucken, einem Kruzifix, je einem Porträt
     des regierenden Papstes und regionalen Kardinals geschmückt waren; alle drei Tische in den drei verschiedenen Sprechzimmern
     waren mit Plüschdecken bedeckt, alle Stühle waren unbequem; alle drei Nonnen sind zwischen siebzig und zweiundsiebzig Jahre
     alt.
    Die erste, Schwester Columbanus, war Direktorin des Lyzeums, das Leni mit so geringem Erfolg zwei Jahre lang besucht hat.
     Eine ätherische Person mit matten, sehr klugen Augen, die fast die ganze Dauer des Interviews kopfschüttelnd
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