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Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Titel: Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
Autoren: Fannie Flagg
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Threadgoode immer noch. Evelyn hatte drei Milky Ways verspeist, wickelte gerade ihren zweiten Butterfinger aus und fragte sich, ob die alte Frau neben ihr jemals den Mund halten würde.
    »Wissen Sie, es ist eine Schande, dass man das Threadgoode-Haus so verfallen lässt. So viel ist dort geschehen. So viele Babys wurden da geboren, und wir erlebten so glückliche Zeiten. Ein großes, einstöckiges weißes Holzhaus mit breiter Vorderveranda, die auch an den Seitenmauern entlangführte … Und das Rosenmuster der Tapeten in den Schlafzimmern sah so hübsch aus, wenn man abends die Lampen anknipste.
    Die Bahngleise zogen sich direkt durch den Hinterhof. Dort flogen in Sommernächten die Glühwürmchen umher, und es duftete nach dem wilden Geißblatt, das direkt neben den Schienen wuchs. Poppa hatte hinter dem Haus Feigen- und Apfelbäume gepflanzt, und er baute für Momma ein wunderschönes weißes Spalier, an dem sich Glyzinien hochrankten. Und an der hinteren Mauer wuchsen kleine rosa Rosen. Oh, ich wünschte, Sie hätten es sehen können.
    Momma und Poppa Threadgoode zogen mich auf, als wäre ich ihr eigenes Kind gewesen, und ich liebte alle Threadgoodes. Vor allem Buddy. Aber ich heiratete Cleo, seinen älteren Bruder – den Chiropraktiker. Und ob Sie’s glauben oder nicht – später bekam ich ein Rückenleiden, also klappte es großartig.
    Mein Leben lang blieb ich mit Idgie und den Threadgoodes eng verbunden, und ich sage Ihnen, das war interessanter als im Kino, wirklich. Ich war immer ein Mitläufertyp. Ob Sie’s glauben oder nicht, bis ich fünfzig wurde, redete ich kaum ein Wort, und danach konnte ich nicht mehr aufhören zu quatschen. Einmal sagte Cleo zu mir: ›Ninny …‹ Ich heiße Virginia, aber alle nannten mich Ninny. Also, er sagte: ›Ninny, ich höre immer nur, Idgie habe das erzählt und Idgie habe jenes erzählt. Hast du denn nichts Besseres zu tun, als den ganzen Tag in diesem Café rumzuhängen?‹
    Ich dachte lange und gründlich nach und erwiderte: ›Nein, hab’ ich nicht.‹ Damit wollte ich Cleo nicht kränken, aber es war die Wahrheit.
    Letzten Februar vor einunddreißig Jahren begrub ich Cleo, und ich frage mich noch immer, ob ich seine Gefühle verletzte, weil ich das damals sagte. Aber ich glaub’s nicht, denn er liebte Idgie genauso wie wir alle und musste oft über ihre Possen lachen. Sie war seine kleine Schwester und ein richtiger Spaßvogel. Zusammen mit Ruth führte sie das Whistle Stop Café.
    Idgie tat die verrücktesten, haarsträubendsten Dinge, nur um die Leute zum Lachen zu bringen. In der Baptistenkirche warf sie einmal Spielchips in den Kollektenkorb. Sie war tatsächlich ein irrer Typ, aber wie irgendjemand auf den Gedanken kommen konnte, sie hätte diesen Mann getötet, ist mir ein Rätsel.«
    Zum ersten Mal hörte Evelyn zu essen auf und musterte die alte Dame im verblichenen blaugeblümten Kleid, die sehr nett aussah mit ihren silbergrauen Löckchen und ohne Punkt und Komma weiterredete.
    »Manche Leute dachten, es hätte an dem Tag begonnen, wo sie Ruth kennenlernte. Aber ich glaube, es fing schon bei jenem Sonntagsdinner an, am 1. April 1919, im selben Jahr, wo Leona und John Justice heirateten. Ich weiß, dass es der 1. April war, denn Idgie kam zum Esstisch und zeigte allen eine kleine weiße Schachtel mit einem menschlichen Finger drin. Sie behauptete, den habe sie im Hinterhof gefunden. Aber wie sich herausstellte, war es ihr eigener Finger, den sie durch ein Loch im Boden der Schachtel gesteckt hatte. April! April!
    Alle außer Leona fanden es komisch. Sie war die älteste und hübscheste Schwester, und Poppa Threadgoode verwöhnte sie nach Strich und Faden. Aber das taten wohl alle. Idgie war damals zehn oder elf, und sie trug ein brandneues weißes Organdykleid. Wir alle versicherten, sie würde süß darin aussehen. An diesem Abend amüsierten wir uns köstlich, und wir ließen uns gerade den Blaubeerkuchen schmecken, als Idgie wie aus heiterem Himmel aufstand und mit lauter Stimme verkündete: ›Nie wieder werde ich ein Kleid anziehen! Nie mehr, solange ich lebe!‹ Und stellen Sie sich vor, Schätzchen – sie marschierte nach oben, und dann kam sie wieder runter, in einem Hemd und einer von Buddys alten Hosen. Bis zum heutigen Tag habe ich keine Ahnung, warum sie das tat. Keiner wusste es.
    Aber Leona, die Idgie nie verstand, sagte etwas, das sie nicht so meinte. Sie jammerte: ›O Poppa, Idgie wird meinen Hochzeitstag verderben, das weiß
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