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Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Titel: Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
Autoren: Fannie Flagg
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Portion Eiscreme mit Schokoladensplitter und starrte auf den Tisch, wo sich die Schnittmuster häuften. Die hatte sie eines Tages in einem Anfall guter Absichten gekauft und seither nicht mehr angerührt. Ed saß in seiner Bude, schaute sich ein Footballspiel im Fernsehen an, und das war ihr nur recht, denn wann immer sie neuerdings was Kalorienreiches aß, fragte er spöttisch: »Machst du grade eine Diät?«
    Im Baskin-Robbins-Laden hatte sie gelogen und behauptet, die Eiscreme sei für ihre Enkel bestimmt. Sie hatte gar keine Enkel.
    Evelyn war achtundvierzig, und irgendwann im Lauf der Jahre hatte sie die Kontrolle verloren. Die Zeiten änderten sich so schnell. Während sie die erforderlichen zwei Kinder aufgezogen hatte (»einen Jungen für ihn und ein Mädchen für mich«), war die Welt ein völlig anderer Ort gewesen, den sie überhaupt nicht mehr kannte.
    Sie verstand die Witze nicht mehr. Die kamen ihr alle vulgär vor, und die Ausdrucksweise schockierte sie. Da saß sie nun, in ihrem Alter, und hatte noch nie das Wort ausgesprochen, das mit F begann. Also schaute sie sich im Fernsehen hauptsächlich alte Filme an und die Wiederholungen der »Lucy Show«. Während des Vietnamkriegs glaubte sie nicht, was Ed ihr erklärte – dass dies ein guter, notwendiger Krieg und jeder Kriegsgegner ein Kommunist sei. Aber dann, viel später, als sie endlich entschied, es wäre doch kein so guter Krieg gewesen, hatte sich Jane Fonda bereits ihrer Aerobic zugewandt, und niemand interessierte sich mehr für Evelyns Meinung. Sie grollte Jane Fonda immer noch und wünschte, die Frau würde endlich vom Bildschirm verschwinden und aufhören, ihre dünnen Beine herumzuschwingen.
    Nicht, dass Evelyn sich keine Mühe gegeben hätte. Sie hatte versucht, ihren Sohn zu einem feinfühligen Menschen zu erziehen. Aber dann bekam sie Angst, weil Ed meinte, der Junge könnte schwul werden. Da zog sie sich zurück und verlor den Kontakt zu ihrem Sohn, der ihr bald völlig fremd wurde.
    Beide Kinder entglitten ihr. Ihre Tochter Janice hatte schon mit fünfzehn mehr über Sex gewusst als Evelyn bis zum heutigen Tag. Irgendetwas war schiefgegangen.
    Auf der High School war alles so einfach gewesen. Da hatte es gute und schlechte Mädchen gegeben. Und alle wussten, wer zu welcher Kategorie zählte. Entweder gehörte man zur »In«-Clique oder nicht. Evelyn, ein Cheerleader, befand sich mitten im goldenen Kreis. Sie kannte weder Jungs, die in der High School Band spielten und Alkohol tranken, noch deren Freundinnen in den durchsichtigen Nylonblusen, mit Fußkettchen. Ihre Clique trug kurzes Haar, Madraskaroblusen für die Mädchen, glatt gebügeltes Khaki für die Jungs. Ab und zu rauchte sie mit ihren Freundinnen eine Kent bei den Versammlungen des Studentinnenvereins, und ab und zu gab’s mal ein Bier auf einer Party, aber kein Petting unterhalb der Schultern.
    Später fühlte sie sich wie eine Närrin, als sie mit ihrer Tochter zum Frauenarzt ging, um ihr ein Diaphragma einsetzen zu lassen. Evelyn hatte bis zur Hochzeitsnacht gewartet.
    Und welch ein Schock war das gewesen … Niemand hatte ihr gesagt, wie weh es tun würde. Sex machte ihr noch immer keinen Spaß. Jedes Mal, wenn sie sich zu entspannen anfing, tauchte in ihrer Fantasie die Vision vom »schlechten Mädchen« auf.
    Sie war ein braves Mädchen gewesen und hatte sich immer wie eine Dame benommen. Nie erhob sie die Stimme, stets fügte sie sich den Wünschen anderer Leute. Sie hatte geglaubt, irgendwann auf ihrem Lebensweg würde eine Belohnung warten, ein Preis. Statt dessen fragte ihre Tochter eines Tages, ob sie’s immer nur mit Dad getrieben habe. »Natürlich«, antwortete Evelyn, und Janice meinte: »Oh Mutter, wie dumm von dir! Dann weißt du ja gar nicht, ob er gut im Bett ist.«
    Das stimmte. Sie wusste es nicht.
    Also spielte es letzten Endes gar keine Rolle, ob man brav gewesen war oder nicht. Die Mädchen auf der High School, die den Jungs ein bisschen mehr erlaubt hatten, waren keineswegs in der Gosse gelandet, sondern glücklich oder unglücklich verheiratet, so wie alle anderen auch. Der ganze Kampf um die jungfräuliche Reinheit, die Angst, berührt zu werden, einen Jungen mit einem Blick oder einer Geste verrückt vor Leidenschaft zu machen und schließlich die allerschlimmste Furcht vor einer Schwangerschaft – alles reine Energieverschwendung, endlose Mühe für nichts und wieder nichts. Heutzutage bekamen die Filmstars haufenweise uneheliche Kinder und
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