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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung
Autoren: T.C. Boyle
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könnten wir hier genau in diesem Augenblick umkommen. Denken Sie an Teo, in Ein Freund der Erde kommt er zu Tode, als er in seiner Küche werkelt und sich ein winziges Bruchstück eines Meteoriten durch das Hausdach und durch seinen Hinterkopf brennt. So etwas ist unwahrscheinlich, aber es kann einem jederzeit widerfahren. Ich las einen Zeitungsartikel über einen ähnlichen Vorfall in meiner Heimatstadt Peekskill. Ein Mann saß in seinem alten Chevy vor einem Sandwich-Laden. Das Auto wackelte, und ein Stück eines Meteoriten hatte sich durch den Kofferraum tief in den Boden unter dem Auto gebrannt. Wir sind jeden Tag, zu jeder Sekunde in Gefahr, egal, was wir tun. Es ist ein Wunder, dass überhaupt noch jemand lebt! Jetzt gibt es ja virtuelle Realität, gerade rechtzeitig, denn die echte Realität verschwindet schnell. Kein Kind, das heute geboren wird, wird mehr in einer Welt leben, in der Tiger und Löwen umherstreifen. Mit Sicherheit wird es in zwanzig Jahren keine Eisbären mehr geben. Es ist furchtbar. Das Wunder der Natur und ihre Herrlichkeit und Unermesslichkeit; all das ist zu einem Nichts zusammengeschrumpft. Mit der virtuellen Realität kapselt sich die Gesellschaft regelrecht ein. Meine Güte, ich klinge wie ein alter Nörgler! Aber ich bin ein alter Nörgler! Die Technologie entwickelt sich so rasant. Früher ging man ins Kino, dort begegnete man anderen Menschen, wunderbar. Dann gab es plötzlich Videokassetten, und man blieb zu Hause und schaute sich Videos an. Aber wenigstens ging man noch zur Videothek, man traf Leute und sah sich um. Das ist passé. Jetzt gibt es alles als Streaming, man bekommt immer mehr direkt nach Hause geliefert, niemand tritt mehr vor die Tür. Es gibt keinen direkten Austausch mit anderen Menschen. Der letzte Ort dafür ist die Bar. Vielleicht ist das gut so, vielleicht ist das die frohe Zukunft, aber ich glaube es nicht. Ich komme mir vor wie der Wilde in Schöne Neue Welt , denn meine Frau und ich haben uns auf die schmutzige, alte Art kennen gelernt, in einer Bar, wo alles passieren kann (lacht). Und wir haben echten Sex mit echten Körpern, verstehen Sie? Heute ist alles virtuell. Wow, Skype-Sex (lacht). Ich weiß nicht. Wir leben in einer aufregenden Zeit, denn die Technologie verändert sich heute so unglaublich schnell. Meine Großeltern haben den Sprung von Pferden und Einspännern hin zu Düsenflugzeugen und Atombomben und der Heilung von Krankheiten mit Antibiotika erlebt. Und in unserer Zeit ist es noch viel verrückter. Die Science-Fiction-Filme der 70er und 80er hätten nie vorhersehen können, was wir geworden sind, allein durch die Informationstechnologien, es ist einfach unglaublich.
    RB: Alles in allem glauben Sie also nicht, dass es nach Sesshaftwerdung und Übergang zu Ackerbau und Viehhaltung vor etwa 10.000 Jahren und nach der Industrialisierung der vergangenen 200 Jahre nun zu einer weiteren Entwicklungsstufe, zu so etwas wie Buckminster Fullers Traum einer nachhaltigen Zivilisation kommen wird?
    TCB: Das hoffe ich. Ich hoffe es wirklich. Doch ich glaube, es wird aufgrund der Überbevölkerung zunächst zu einem Zusammenbruch kommen müssen. Und ich spreche vom Zusammenbruch ganzer Gesellschaften. Ich vermute, dass es nicht einfach der Kampf um Ressourcen sein wird, sondern es wird eine Krankheit geben, die uns dahinrafft, denn wir sind in Flugzeugen unterwegs, niesen uns gegenseitig an, und Krankheiten, die früher örtlich begrenzt waren, werden explodieren. Das wird die Gesellschaft zu Fall bringen, bevor wir mit der Nachhaltigkeit richtig anfangen können. Ich habe darüber gewitzelt, dass wir auf Sex verzichten müssen, aber im Ernst, es gibt keine angenehme, einfache Art, die Bevölkerung zu schrumpfen; es läuft auf Hungertod, Kriege, Überschwemmung aller niedrig liegenden Gebiete weltweit hinaus. All das wird die Bevölkerung reduzieren und gleichzeitig zum Zusammenbruch der Gesellschaften und des Wirtschaftssystems führen. Ich glaube also, etwas wird geschehen, bevor wir zu Buckminster Fullers Vision kommen können. Ich glaube nicht wie all die anderen Untergangspropheten und Schwarzseher, dass die Menschheit verloren ist, aber ich glaube, dass die heutigen Gesellschaften dem Untergang geweiht sind. Deswegen denke ich, wir sollten jetzt zum Ende kommen und einen Wein zusammen trinken, denn dann sieht alles gleich viel besser aus.

    Aus dem Amerikanischen von Christine Rennert, Roman Brinzanik, Tobias Hülswitt

    Eine ausführlichere Fassung
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