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Grote, P

Grote, P

Titel: Grote, P
Autoren: Wein des KGB
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ausgeschlossen, sie würden sich zu guten Trauben entwickeln. Die drei Jahre alten Neuanpflanzungen auf dem Land seines Schwiegervaters würden in diesem Jahr zum ersten Mal tragen. Jérôme war überzeugt, dass sich aus den ersten Trauben ein trinkbarer Wein machen ließ. Auf den anderen drei Hektar, die Jérôme sozusagen als Strohmann für ihn gekauft hatte und die ein Stück nördlich ihrer eigenen Rebgärten lagen, waren sie noch nicht so weit. Insofern waren Coulanges Bedenken gerechtfertigt: Wenn er, Martin, und nicht Jérôme als Käufer aufgetreten wäre, hätten sie bedeutend mehr zahlen müssen. Aber die von Coulange verlangte Geheimhaltung warnicht das, was ihn störte – es war der Mann im Hintergrund   ...
    Der Verkehr auf der Promenade nahm zu, um den Kiosk herum wurde es eng, die Abendzeitungen trafen ein, und Martin sah sich gezwungen, zur Seite zu rücken, um den Wartenden Platz zu machen. Er war im Hotel nicht dazu gekommen, die ›Le Monde‹ zu lesen. Er sollte sich ein Exemplar kaufen. Leider stand selten etwas über Deutschland drin. Wenn er hier nach einer deutschen Zeitung fragte, sah ihn François, der Verkäufer, mitfühlend an und erkundigte sich, ob er Heimweh habe, und wunderte sich, dass es nicht so war.
    Von François sah er jetzt nur die Hände, die mit blitzschnellem Griff das Geld entgegennahmen, es erinnerte ihn an seine erste Sparbüchse, eine kleine schwarze Kiste, aus der nach einem schnarrenden Geräusch eine Plastikhand hervorschoss und die Münze schnappte, die man in einen dafür vorgesehenen Schlitz steckte. François war ein ähnlich körperloses Wesen, es bestand nur aus der linken Hand, selten aus einem schwarz behaarten Unterarm, die aus diesem Stapel von Zeitungen, Journalen, Broschüren und Büchern herausfuhr und nach dem Geld griff.
    Heimweh? Martin blickte über die träge dahinfließende Gironde. Nein. Er hatte mit dem Wechsel nach Saint-Émilion nur gewonnen. Er bewegte sich heute gelassener, hatte mehr Freude an dem, was er tat, er sah sich als Gärtner, dem man die Verantwortung für die Rebstöcke übertragen hatte, er sah sich nicht als ihr Besitzer. Sie, dazu die Erde und das Wetter machten sowieso, was sie wollten. Er war viel draußen, heute allerdings hatte er wegen des Treffens aufs Jogging verzichten müssen. Allerdings waren seine Beziehungen zu Menschen weniger geworden, dafür intensiver. Er hatte sich daran gewöhnen müssen, dass nicht alle zehn Minuten jemand in seinen Laden trat, das Telefon klingelte selten, und wenn er im Weinberg war, stellte er sogar dasMobiltelefon ab. Das Geldverdienen allerdings war schwer geworden, aber auch das hatte er in den Griff bekommen, seit er für deutsche Händler Weine auswählte. Die Abwicklung der Lieferungen hatte Frau Schnor übernommen, seine ehemalige Mitarbeiterin aus Frankfurt, es klappte gut. Und alles das, was danach gefolgt war, hatte ihn nur fester mit Saint-Émilion verbunden.
    Der größte Gewinn war Charlotte. Es klang makaber, aber hatte er letztlich nicht auch sie Gaston zu verdanken? Die Tochter der Nachbarn, die sonst in Paris lebte, war zu Besuch da gewesen, als Gaston beerdigt worden war. Nach ihrer Scheidung und als das Trauerjahr vorüber war, hatten sie und Martin geheiratet. Charlotte war eine großartige Frau. Sie war ihm fremd und gleichzeitig vertraut wie lediglich Gaston zuvor, sie waren eins, und doch tat jeder, was er für richtig hielt. Traten sie gemeinsam auf, hatte niemand eine Chance, und wer von ihnen Hilfe brauchte, bekam sie vom anderen. Manchmal beschlich ihn eine diffuse Angst, sie irgendwann zu verlieren, durch Umstände, einen Unfall   ...
    Wieder stießen François’ Unterarme aus dem Papierhaufen, die Hände griffen Scheine so sicher wie Münzen. »Wenn ihr mich eines Tages begrabt«, pflegte François in vollem Ernst zu sagen, »dann in diesem Haufen Papier, am besten gleich unter dem Kiosk, da habe ich den Fluss an meiner Seite.«
    Eine Bö kräuselte die Wasserfläche, zwei Boote waren unterwegs, und Martin erinnerte sich daran, wie entscheidend diese Lage für den Aufstieg von Bordeaux gewesen war, sowohl von der Bodenbeschaffenheit her wie auch vom Klima, und was nutzt der schönste Wein, wenn man ihn nicht verschiffen kann?
    Sogar er, als eingefleischter Merlot-Fan, hatte wieder zur typischen Linie zurückgefunden, er hatte jetzt Cabernet Sauvignon gepflanzt, um neben dem Pechant, den Gaston erdacht hatte, eine klassische Cuvée zu machen. Im
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