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Große Kinder

Große Kinder

Titel: Große Kinder
Autoren: Oggi Enderlein
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wünschten sich die meisten Kinder mehr und engere Freunde und mehr Zeit, sich mit Freunden zu treffen (vgl. Wilk/Bacher)   – aber bestimmt nicht unter Anleitung von Erwachsenen!
    In diesen Untersuchungen wird deutlich, dass sich erstaunlicherweise eher Stadt- als Landkinder zu Gruppen zusammenschließen und häufig miteinander ihre freie Zeit verbringen. Sie treffen sich mit Vorliebe in Kaufhäusern. Dort wird mit Computern gespielt und sicher auch auf eigenes Risiko genügend angestellt, was »geheim« ist. Bei dieser Art von Abenteuern bleibt zwar die Erfahrung einer gewissen Selbstverantwortlichkeit und Risikobewältigung erhalten und auch heute noch ist bei »Kaufhauskindern« das »Heimlichkeitskribbeln« die wichtigste Triebfeder ihrer Taten. Aber besonders »geheimnisvoll« sind Kaufhäuser bestimmt nicht, und »ungewöhnliche«, gar »einzigartige« Abenteuer, die sonst keiner kennt und die »niemand bisher« gewagt hat, sind für Kinder in unserer reglementierten Welt kaum noch zu finden.
    Verschiedenste Studien bestätigen immer wieder, dass gerade Kinder zwischen 7 und 13   Jahren am meisten fernsehen und sich mit Computerspielen beschäftigen. Äußerlich zum Stillstand verdammt, allein gelassen mit ihren Gefühlen und Ideen, schauen sie sich am Fernseher die geheimnisvollen und unheimlichen Abenteuer anderer an und erleben, wie andere Menschen »in aller Öffentlichkeit« Dinge tun, die eigentlich verboten sind. An ihren Gameboys und Computern klinken sie sich in vorgegebene Abenteuerbahnen ein, die genauso von fremder Hand und fremden Phantasien gesteuert sind wie die Abenteuermaschinen auf dem Festplatz: Es kribbelt zwar, es ist aber nichts, was man selbst verursacht hat oder was man mit Eigeninitiative irgendwie verändern, mit eigenen Ideen beeinflussen kann. Und wie es ausgeht, steht von vornherein fest.
    Heißt das nun, dass man Kinder sich selbst überlassen soll? Dass sich Eltern, Lehrer, Erzieher, Politiker nicht mehr darum kümmern sollen, was Kinder, die erst 7, 9, 12   Jahre alt sind, nach der Schule treiben, damit sie ungestört ihren »Heimlichkeiten« nachgehen können? Ist das nicht viel zu gefährlich in unserer modernen Welt? Ist es nicht im Gegenteil heutzutage geradezu lebenswichtig für Kinder, dass sie gut aufgehoben und beschützt werden und wenigstens solange sich von den Erwachsenen noch etwas sagen lassen, solange sie unter deren Aufsicht stehen? Wird nicht täglich in den Medien warnend berichtet, was alles passiert, wenn Kinder sich selbst überlassen bleiben? Sind nicht unsere eigenen Erinnerungen Warnung genug?
    »Ein Glück, dass meine Eltern keine Ahnung hatten von dem, was wir getrieben haben!«, bekennen viele Erwachsene, die noch nicht der »Fernsehgeneration« angehören, wenn sie an ihre eigene abenteuerreiche unbeschwert-selbständige Kindheit zurückdenken. Rückblickend sehen sie (mit stolzgeschwellter Brust!) vor allem die Gefahren, in die sie sich begeben hatten und wundern sich, dass nicht Schlimmeres passiert ist. Weil kaum jemand mit dem anderen darüber spricht, denkt jeder: Nur ich habe so ein wildes, »gefährliches« und unbeaufsichtigtes Leben gehabt (zusammen mit den Freunden natürlich), nur ich hatte das einmalige, unglaubliche Glück, dass kaum etwas passiert ist. Zigtausendfach ist dieses »einmalige« Glück aber offenbar, denn angesichts der riskanten Spiele, die Kinder in diesem Alter schon immer und auf der ganzen Welt gespielt haben und nach wie vor spielen, wo sie es noch können, passierte und passiert erstaunlich selten wirklich Schlimmes. (Kein Vergleich zu dem, was Kindern heute im Straßenverkehr auch nur als Beifahrer zustößt!)
    Als Erwachsene glauben wir, Kinder davor bewahren zu müssen, solche Dummheiten zu machen, wie wir sie selbst erlebthaben, als wir noch »klein« waren. Sobald wir Verantwortung für Kinder tragen, scheinen wir davon auszugehen, dass der
normale
Ausgang von freiem kindlichem Spiel der GAU   – der größte anzunehmende Unglücksfall   – sein muss: Sei es, dass den Kindern etwas Schlimmes angetan wird, dass sie Katastrophen anrichten oder schwer verunglücken. In unserer Angst halten wir die Kinder fest an uns gebunden und lassen sie keinen Moment aus den Augen. Damit vermitteln wir ihnen aber nichts anderes als die Botschaft: Die Welt ist zu gefährlich für dich, lass die Finger davon, du bist unfähig, darin zu überleben.
    Dann wundern wir uns, wenn sie als Jugendliche und Erwachsene Angst vor dem
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