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Grimpow Das Geheimnis der Weisen

Grimpow Das Geheimnis der Weisen

Titel: Grimpow Das Geheimnis der Weisen
Autoren: Rafael Abalos
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Labyrinth könnte das Gewirr der Bilder in diesen großartigen Fenstern gemeint sein. Ich glaube, wir müssen uns beeilen und noch vor Sonnenuntergang herausfinden, wo die Saat auszubringen ist«, sagte Weynelle. Sie war fest entschlossen, jede Bibelszene bis zur letzten in den Kirchenfenstern zu untersuchen.
    Sie begannen bei der Rosette über dem Nordportal, in der eine Marienfigur von Königen und Propheten umgeben war, und gingen dann weiter zum östlichen Seitenschiff, wo sie jedes einzelne Kirchenfenster erst von unten nach oben studierten, als stiegen dessen Bilder von der Erde zum Himmel auf, und dann von rechts nach links wie die letzten Worte, die sie in der Pariser Kathedrale zu Füßen des Teufels gefunden hatten. In einem üppigen Licht- und Farbenspiel erschienen in jedem Fenster unzählige menschliche und göttliche Gestalten, dazu abstrakte Formen und Pflanzenornamente, umrahmt von Kreisen, Vierecken, Dreiecken und Achtecken.
    Grimpow hielt den Stein fest in der Hand. Er nahm dessen Wärme und das rötliche Schimmern als ein unmissverständliches Zeichen wahr, dass sich das Geheimnis der Weisen ganz in ihrer Nähe befand, vielleicht ummauert von einer jener kolossalen Säulen oder unter einer Steinplatte des Kathedralenbodens.
    Unter den Spitzbogen jener Kuppeln voller Weisheit und Geheimnis erahnten auch Weynelle und Salietti in ihrer Reichweite etwas Magisches, Wunderkräftiges, etwas Erstaunliches und Unvorstellbares, das imstande war, das finstere Universum ihrer Zeit für alle Zukunft zu erleuchten. Letzten Endes waren die Begriffe Universum und Zeit nicht nur zufällig in den Rätseln vorgekommen. Weynelle sah als Erste etwas im Südschiff auf dem Boden funkeln, um dann festzustellen, dass auch die Ähre nicht bloß eine Laune war. Denn im nächsten Moment entdeckten sie die auffällige weiße Bodenplatte in der Kathedrale, in der eine eingelassene metallene Ähre schimmerte wie das Gold der Alchimisten.
    Weynelle erschauerte, als ihr Blick darauf fiel. »Die Ähre, die dem hellsten Stern des Sternbilds Jungfrau seinen Namen gibt und im Buchstabenquadrat mit den letzten Worten auftaucht, ist auch hier in der Kathedrale von Chartres«, rief sie aus.
    »Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass das Geheimnis der Weisen unter dieser Bodenplatte verborgen liegt. Womöglich gibt diese Ähre die genaue Stelle an, wo die Saat ausgebracht werden muss«, mutmaßte Salietti.
    Grimpow sagte nichts, er bückte sich nur und führte die Hand mit dem Stein ganz dicht an die goldene Ähre heran, die im letzten Tageslicht funkelte.
    Sie warteten alle gespannt, ob das Wunder geschah und die weiße Bodenplatte einen Geheimgang unter ihren Füßen freigab, der sie endlich zum Geheimnis der Weisen führen würde. Aber Ähre und Bodenplatte rührten sich nicht von der Stelle und es tauchte nichts anderes auf als die Enttäuschung in Saliettis Miene.
    »Vielleicht ist es doch nicht so einfach, wie wir gedacht haben«, sagte Grimpow, ohne den Mut sinken zu lassen.
    »Ich werde mal ein paar Kerzen anzünden, bevor es hier drinnen vollkommen finster ist und wir unsere eigenen Schatten nicht mehr sehen«, sagte der Ritter. Damit wandte er sich unverzüglich zum Presbyterium, wo mehrere Altarkerzen brannten.
    Doch als er das Mittelschiff betrat, hielt er plötzlich inne. Auf dem Steinboden vor seinen Füßen entdeckte er lauter konzentrische Kreise, die mit bräunlichen Fliesen gelegt waren und sich deutlich von ihrer Umgebung abhoben.
    Unter dem Eindruck dieses Fundes lief er zum Altar, nahm mehrere Kerzen, entzündete sie an der Flamme der brennenden Altarkerzen und kehrte :lamit zu Grimpow und Weynelle zurück.
    »Ich habe das Labyrinth gefunden«, rief er und konnte seine Begeisterung kaum zügeln. »Kommt, es ist da vorn, im Mittelschiff, ganz in der Nähe des Haupteingangs«, fügte er hinzu. Er nahm Weynelle an der Hand und zog sie mit sich, als wollte er sie entführen.
    Grimpow folgte den beiden, und seine Gedanken schwangen sich in die Höhe wie ein majestätischer Adler, während er sich vorstellte, was in jenem Labyrinth geschehen würde. In der Bibliothek der Abtei Brinkum hatte er mit Bruder Rinaldo die Bedeutung dieses uralten Symbols studiert, das sich bis zu den Labyrinthen von Lemnos, Clusium und Kreta in der Geschichte zurückverfolgen ließ. Ein Labyrinth war ein verwirrender Ort, eine Falle, in die man hineingeriet, ohne je wieder herauszukommen, außer man folgte dem Ariadnefaden der griechischen
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