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Grete Minde

Grete Minde

Titel: Grete Minde
Autoren: Theodor Fontane
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untenstehenden Sarg: Astern aller Farben und Arten, die sie während der kurzen Zeremonie von den verwilderten Beeten gepflückt hatten.
    Bald danach war nur noch Grete da und sah auf den Fliederbusch, der bestimmt schien, das Grab zu schützen. Ein Vogel flog auf und über sie hin und setzte sich dann auf eine Hanfstaude und wiegte sich. »Ein Hänfling!« sagte sie. Und die Bilder vergangener Tage stiegen vor ihr auf; ihr Schmerz löste sich, und sie warf sich nieder und weinte bitterlich.
    Als sie sich erhob, sah sie, daß Ilse, die mit den andern gegangen war, zwischen den Rundbögen wieder herauf- und auf sie zukam, allem Anscheine nach, um ihr eine Botschaft zu bringen. Und so war es. »Komm, Grete«, sagte sie, »die Domina will dich sprechen«; und beide gingen nun, außerhalb des Kreuzganges, zwischen diesem und dem Seeufer hin, und auf das efeuumsponnene Haus mit dem hohen Dach und den rotblühenden Laubstauden zu.
    Es war schwül, trotzdem schon Oktobertage waren, und die Domina, die nach Art alter Leute die Sonnenwärme liebte, hatte Tisch und Stühle in Front ihres Hauses bringen lassen. Hier saß sie vor dem dichten, dunklen Gerank, durch das von innen her der Widerschein des Kaminfeuers blitzte, und auf das Tischchen neben ihr waren Obst und Lebkuchen gestellt, Ulmer und Basler, und eine zierliche Deckelphiole mit Syrakuser Wein.
    Grete verneigte sich.
    »Ich habe dich rufen lassen«, sagte die Domina, »weil ich dir helfen möchte, so gut ich kann. Es soll keiner ungetröstet von unsrer Schwelle gehen. So haben es die Arendseeschen von Anfang an gehalten, und so halten sie's noch. Und auch Ilse wird es so halten. Nicht wahr, Ilse...? Und nun sage mir, Kind, woher du kommst und wohin du gehst? Ich frag es um
deinetwillen
. Sage mir, was du mir sagen kannst und sagen willst.«
    Und Grete sagte nun alles und sagte zuletzt auch, daß sie zurück zu den Ihren wolle, zu Bruder und Schwester, um an ihrer Schwelle Verzeihung und Versöhnung zu finden.
    »Das ist ein schwerer Gang.«
    Grete schwieg und sah vor sich hin. Endlich sagte sie: »Das ist es. Aber ich hab es ihm versprochen. Und ich will es halten.«
    »Und wann willst du gehen?«
    »Gleich.«
    »Das ist gut. Ein guter Wille kann schwach werden, und wir müssen das Gute tun, solange wir noch Kraft haben und die Lust dazu lebendig in uns ist. Sonst zwingen wir's nicht. Und nun gib ihr einen Imbiß, Ilse, und eine Zehrung für den Weg. Und noch eins, Grete: halt an dich, auch wenn es fehlschlägt, und wisse, daß du hier eine Freistatt hast. Und eine Freistatt ist fast so gut wie eine Heimstatt. Und nun knie nieder und höre mein Letztes und mein Bestes: ›Der Herr segne dich und behüte dich und gebe dir seinen Frieden.‹ Ja, seinen Frieden; den brauchen wir alle, aber du Arme, du brauchst ihn doppelt. Und nun geh und eile dich und laß von dir hören.«
    Grete küßte der Alten die Hand und ging. Ilse mit ihr. Als diese zurückkam und ihren vorigen Platz an der Efeuwand eingenommen hatte, sagte die Domina: »Wir sehen sie nicht wieder.«
    »Und hast ihr doch eine Freistatt geboten!«
    »Weil wir das Unsre tun sollen... Und die Wege Gottes sind wunderbar... Aber ich sah den Tod auf ihrer Stirn. Und hab acht, Ilse, sie lebt keinen dritten Tag mehr!«
     
Siebzehntes Kapitel
     
Wieder gen Tangermünde
    Grete war in weitem Umkreise bis an das Gasthaus zurückgegangen, um hier von den Leuten, die's gut mit ihr und ihrem Toten gemeint hatten, Abschied zu nehmen. Vor allem von Zenobia. Dann wickelte sie das Kind, das diese bis dahin gewartet hatte, in den Kragen ihres Mantels und schritt aus der Stadt hinaus, auf die große Straße zu, die von Arendsee nach Tangermünde führte. Hielt sie sich zu, das waren der Wirtin letzte Worte gewesen, so mußte sie gegen die vierte Stund an Ort und Stelle sein.
    Der Weg ging anfänglich über Wiesen. Es war schon alles herbstlich; der rote Ampfer, der sonst in breiten Streifen an dieser Stelle blühte, stand längst in Samen, und die Vögel sangen nicht mehr; aber der Himmel wölbte sich blau, und die Sommerfäden zogen, und mitunter war es ihr, als vergäße sie alles Leids, das sie drückte. Ein tiefer Frieden lag über der Natur. »Ach, stille Tage!« sagte sie leise vor sich hin.
    Nach den Wiesen kam Wald. Junge Tannen wechselten mit alten Eichen, und überall da, wo diese standen, war eine kräftigere Luft, die Grete begierig einsog. Denn es war immer schwüler geworden, und die Sonne brannte.
    Mittag mochte
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