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Gretchen

Gretchen

Titel: Gretchen
Autoren: Einzlkind
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einzelne Tropfen klatschten gegen das Fenster. Ein Ungemach kündete sich an, das Wetter spielte mit, wie schön.
    Als Gretchen Morgenthau das Telefon zur Seite legte, wurde ihr leicht schwindelig. Für einen kurzen Moment lag alles in einem wabernden Nebel. Sie fühlte sich betäubt. Es war beinahe angenehm. Sie ging in die Küche, nahm ein Tuch und wischte den sauberen und staubfreien Tisch. Sie hatte seit über vierzig Jahren nicht mehr Staub gewischt. Sie atmete tief ein und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Kardamom und frische Minze. Dann setzte sie sich auf den Küchenstuhl am oberen Ende des kleinen Tisches. Sie schaute aufs Meer. Wie schön es doch war. Immer und immer wieder. Sie hatte es irgendwie vergessen, das Meer. Dabei hatte sie es mal geliebt. Das Wasser überhaupt. Das ungestüme. Draußen. Als sie noch ruderte. Aber das war lange her. Was für eine Figur sie damals hatte, kein einziges Gramm Fett. Sie schaute auf ihre Hände und musste lächeln. Vergangenheit war nicht immer einfach. Und dann nahm sie aus ihrer Handtasche ein kleines metallenes Rohr, das aussah wie ein Stift, drehte es auf und nahm eine Zigarette heraus. Sie hatte immer eine mit dabei. Seit dreißig Jahren. Seit sie aufgehört hatte zu rauchen. Jeden Monat kaufte sie eine neue, bei Tariq, dem Pakistani ihres Vertrauens, und tauschte sie gegen die alte ein. Für den Fall. Man konnte ja nie wissen. Und jetzt war es soweit. Wenn nicht jetzt, wann sonst? Sie tastete das Papier ab. Es fühlte sich immer noch genauso an. Und auch der Duft war ein Altbekannter. Der Tabak roch nach Wildem Westen, nach John Wayne, nach dem Mann, der Liberty Valance erschoss. Unvergesslich. Und dann steckte sie die Zigarette in den Mund und der weiche Filter gab zwischen ihren Lippen nach, und dann nahm sie das silberne Sturmfeuerzeug vom Küchentisch, das noch vom Großvater sein musste, auf dem die Umrisse zweier Nixen eingraviert waren, in Liebesspielen verstrickt, Männer eben. Sie klickte den Verschluss nach hinten. Benzin kroch hinaus. Sie drehte an dem Metallrad und es machte leise Wusch. Die Flamme flackerte im Windzug, aber sie ging nicht aus. Sie führte das Feuerzeug an die Zigarette und es zischte kurz und dann glühte sie auf, die Zigarette, und Gretchen Morgenthau inhalierte und der Rauch schoss durch ihre Lungen und ihr Kopf kippte leicht nach hinten und dann atmete sie wieder aus und dann lächelte sie und dann fühlte sie es besser werden. Faszinierend. Dachte sie. Wie schnell die Zeit sein konnte und wie leise sie war. Sie reiste wohl auf Zehenspitzen. Das scheue Ding. Fast unsichtbar. Auch draußen war nichts mehr zu sehen, die Nacht dunkelte die Welt. Monotones Plätschern setzte ein, Huhu machte der Wind und ein Hund bellte und bellte, als sei der Leibhaftige zu Besuch. Aber das Geräusch der Stille fegte alles hinfort. So also fühlte sich das an. Alle Gedanken weg, nur noch dieser eine. Merkwürdig.

III

28
    Kaninchen flogen. Und Eisbären. Sogar ein grobmotorisches Warzenschwein erhob sich in die Lüfte, bis der Wind es wieder auflöste und es in Schwaden davontrieb. Der Wasserkessel atmete, er dampfte und er brodelte. Nur pfeifen konnte er nicht. Noch nie. Dafür aber mit dem Deckel scheppern, der unkontrolliert nach oben hüpfte und ein buntes Allerlei an Tieren in die Luft blies. Sie nahm den Kessel von der Gasplatte und schüttete den Kaffee auf. In eine rote Keramikkanne aus kolonialen Zeiten, die sie auf ein metallenes Stövchen stellte. Sie öffnete die rechte obere Tür des Küchenschranks, übersah routiniert das wundervoll schlichte Porzellan von Wedgwood und nahm die himmelblaue Emailletasse heraus. An der unteren Kante hatte sie schon zwei Katschen, sie war nicht schön, und sie hörte auf den Namen: Niemand außer GM berührt diese Tasse, noch sieht er sie an, noch spricht er mit ihr und schon gar nicht füllt er irgendetwas in sie hinein.
    Zum Frühstück gab es das Übliche. Nur weniger. Denn mehr als eine halbe Banane war nicht möglich. Eine zweite Tasse Kaffee indes schon. Stark, schwarz, Tote weckend. Dabei war es gar nicht nötig. Viel wacher konnte sie nicht werden. All ihre Sinne tobten sich noch einmal richtig aus, und das Bewusstsein für jeden einzelnen Moment war ganz automatisch da, ungewollt und ungeplant, als ob die Sinne wüssten, dass sie hierher nicht wieder zurückkehren würden. Komisch, so ein letzter Morgen.
    Sie ging in den Flur, holte ein frisches Handtuch aus dem Wäscheschrank,
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