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Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts
Autoren: Oliver G. Wachlin
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regelrecht gejagt.«
    »Ist das so im Osten?« Schwartz lehnte sich zurück und sah sich spöttisch um. »Komisch, wo wir doch mitten in Dresden sind. Tiefster Osten, würde ich sagen, aber werde ich gejagt? – Die Einzige, die mir schon den ganzen Abend Vorhaltungen wegen meiner Hautfarbe macht, sind Sie. Eine Frau aus dem Westen. Gibt es bei Ihnen keine Nazis? Was ist mit Schönhuber, Michael Kühnen, der  NPD ? Und Solingen und Mölln gehören, soweit ich weiß, auch nicht zu den neuen Bundesländern.«
    »Trotzdem.« Liliana Petkovic schüttelte den Kopf. »Ich kann das nicht verantworten. Wenn Ihnen in Görlitz was passiert …«
    »Glauben Sie mir, ich kann auf mich selbst aufpassen!« Schwartz regte sich auf und gestikulierte mit den Händen. »Herrgott, ich bin da aufgewachsen. Das ist meine Heimat, mit ein paar von den Nazis dort bin ich wahrscheinlich schon zur Schule gegangen. Was wollen Sie mir denn erzählen? Dass ich mich verstecken muss? Meine Aufgaben nicht mehr erfüllen kann, weil ich schwarz bin? Das kann unmöglich Ihr Ernst sein!«
    Liliana Petkovic hüllte sich in Zigarettenqualm und schwieg.
    »Ich bin Ihr Mann, verdammt noch mal«, rief Schwartz, »und das wissen Sie!«
    »Sie sind ein Teufel«, knurrte die Petkovic.
    »Den Sie gerufen haben. Und«, Schwartz tippte sich gegen die Nase, »den richtigen Riecher habe ich auch.«
    Liliana Petkovic grinste. »Die Teufelsnase?«
    »Was?« Schwartz stand wieder auf der Leitung.
    »Nichts.« Sie winkte ab. »Trinken wir noch ein Bier?«
    »Nur, wenn wir es auf gute Zusammenarbeit trinken.«
    Die Petkovic seufzte.
    »Na?« Er hielt ihr die Hand hin. »Nun schlagen Sie schon ein!«
    Sie zögerte. »Auf Ihre Verantwortung?«
    »Ich bin erwachsen«, erwiderte Schwartz ruhig und wartete.
    »Okay«, sagte sie schließlich und schlug ein.
    Schwartz konnte es kaum glauben und drückte ergriffen ihre Hand. Da hatte er diese unterkühlte Zigarettenprinzessin tatsächlich weichgeklopft. Mit seinen Argumenten rundum überzeugt, obwohl oder weil er nur ein Ossi war. Aber gelernt ist gelernt, schließlich war er mit vierzehn Jahren mal Agitator in der  FDJ -Gruppe seiner Schulklasse. Und jetzt jobbte er fürs  LKA . Großartig war das, ganz große Klasse! Endlich raus aus altem Aktenmief, endlich wieder Ermittlungsarbeit, und Kriminaldirektor Habersaath konnte ihm bis auf Weiteres gestohlen bleiben. Dafür war Oma nicht weit. Da sah er gern mal zum Nachdenken vorbei und um im Garten zu helfen. Denn wie heißt es doch so schön? »Erholung liegt im Wechsel der Tätigkeiten.«
    Er sprang auf, rannte zum Tresen und kam mit zwei frischen Pils zurück, bevor es sich diese Petkovic noch einmal anders überlegen konnte.
    »Dann sind wir also wirklich ab sofort ein Team?«
    »Ja, meinetwegen«, die Petkovic seufzte, »sonst werfen Sie mir ja doch nur rassistische Diskriminierung vor.«
    »So weit würde ich nie gehen«, versprach Schwartz und hob sein Glas. »Also abgemacht: Auf gutes Gelingen.«
    »Prost«, erwiderte Liliana Petkovic und sah ihn über ihr Bierglas hinweg versonnen an, bevor sie trank.

2
    WIE LANG   IST DAS HER?  – Fünf Jahre? Sechs?
    Damals sprach sich herum, dass nach den Ferien eine Neue an die Schule kommen sollte. Aus Berlin. Das klang per se schon mal interessant und gab Anlass zu den wildesten Spekulationen. Angeblich sollte es in Berlin die schärfsten Weiber geben, geradezu kosmisch.
    Ich war damals fünfzehn, ging aber immer noch in die siebte Klasse, weil ich zweimal sitzen geblieben war, und es war abzusehen, dass ich von der Schule fliegen würde. Was mir völlig egal war, ich mochte die Scheißpenne sowieso nicht und trieb lieber Kraftsport. Das ist das Wichtigste. Ein gestählter Körper, der sich wehren kann. Sonst kommst du um im Darwinismus. Und wie es der Zufall wollte, kam die heiß erwartete Neue – sie war dreizehn – auch noch genau in meine Klasse. Tja.
    Was soll ich sagen, der erste Eindruck jedenfalls war eine volle Enttäuschung. Die Neue war lang und dürr, eine blasse rothaarige Bohnenstange mit Sommersprossen und Überbiss und einer viel zu großen Brille auf der Nase. Nicht mal ihre Klamotten waren besonders. Totale Fehlanzeige. Sollten sie mich ruhig von der Schule schmeißen.
    Auch sonst hatte die Neue nichts zu lachen. Dauernd wurde sie gehänselt. Sie war schüchtern und musste, wenn sie aufgeregt war, immer kotzen. Das war eklig und passierte ziemlich oft. Im Sportunterricht bewegte sie sich hölzern wie
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