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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht
Autoren: Axel Kraemer
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dem Sprühreiniger „trifft“, den er im Haus seiner Großmutter gefunden hat. Ein Relikt aus vergangener Zeit, das es längst nicht mehr im Handel zu kaufen gibt, genauso wie der Maggi-Suppendrink, dessen Haltbarkeitsdatum 1985 abgelaufen ist und den er zwar nicht mehr zum Verzehr vorsieht – in seiner alten Verpackung verfügt das Produkt jedoch über einen gewissen Seltenheitswert.
    Auf einem Regal im Flur quillt eine Schachtel über, die vollgestopft ist mit Eintrittskarten von Stuttgarter Lichtspielhäusern. „Früher bin ich öfter ins Kino gegangen“, sagt Schäufele. „Heute komme ich nicht mehr dazu.“
    Überhaupt: die Knappheit der Zeit. Die ist sein größtes Problem.
    „Mich ärgert, dass ich nicht zu allem, was ich sammle, jederzeit Zugriff habe. Wenn ich zum Beispiel Star Wars auf Super-8 suche, weiß ich: Der Film steckt irgendwo in einer der Kisten – nur in welcher? Darum habe ich mir vorgenommen, das Ganze mal zu sortieren und eine Ordnung reinzubringen.“
    Das ist der Grund, weswegen er jetzt seine Arbeitszeit drastisch reduziert hat – vom Vollzeitjob zur Halbtagsstelle. Allerdings räumt er ein, dass das bislang noch nicht viel gebracht hat.
    „Vielleicht ist das ja nur eine Illusion“, sagt er und macht eine gedankenverlorene Pause.
    Was genau meint er damit?
    „Na, dass ich da eine Ordnung reinbringe. Vielleicht bilde ich mir nur ein, dass alles besser wird. Ich habe das Gefühl, dass meine Zeit immer noch nicht ausreicht.“
    Schäufele führt mich in den Keller, wo er seine stolze Sammlung von Waschmaschinen aufbewahrt. Dafür hegt er eine besondere Leidenschaft.
    „Das hat mich schon als kleiner Junge fasziniert. Das Schaltwerk! Die Geräusche, die so eine Maschine macht.“
    Aha. Und das Design?
    „Auch. Aber die Faszination für das Design kam erst später.“
    In der Ecke steht eine alte Constructa aus den sechziger Jahren, so ähnlich wie jene, die seine Oma schon hatte. Dazu gibt es ein Schlüsselerlebnis: „Die pumpt zum Schleudern nicht erst vorher das Wasser ab, sondern schleudert mit voller Wasserladung. Als ich das zum ersten Mal gesehen hab, hab ich einen Schreck gekriegt. Gleichzeitig fand ich es aber auch toll.“
    Nebenbei erwähnt er, dass er seit kurzem Mitglied in einem Waschmaschinenforum ist.
    Moment mal: ein Waschmaschinenforum? Das hört sich wirklich sehr speziell an. Ist das etwa eine Art Fetisch?
    „Mit Sex hat das nichts zu tun. Das ist einfach ein Treffpunkt im Internet für Menschen, die sich für Waschmaschinen interessieren.“
    Eine Website, die Ratschläge zum richtigen Waschen auflistet, die historische Waschmaschinenreklame veröffentlicht und auf der Fragen diskutiert werden wie jene, warum die alten Bottichwaschmaschinen der sechziger Jahre überhaupt vom Markt verschwunden sind.
    Okay, Fetisch ist in diesem Zusammenhang ein missverständlicher Begriff.
    Trotzdem habe ich da einen Verdacht: Sind die Mitglieder dort alle schwul?
    Holger Schäufele nickt mit dem Kopf. „Überwiegend, ja. Wir haben schon mal spaßeshalber gesagt, dass wir einen von uns zum Therapeuten schicken müssen.“
    Dort schaut man in der Regel aber erst vorbei, wenn man von einem großen Leidensdruck getrieben wird. Dergleichen scheint ihn allerdings nicht zu behelligen, jedenfalls nichts, was über das normale Maß menschlichen Alltagsleidens hinausreichen würde.
    Wer jetzt auf die Idee kommen könnte, dass sein manischer Drang, alles aufzubewahren und zu sammeln, nur eine Kompensation ist, eine Art Furcht vor menschlicher Nähe, macht es sich jedenfalls zu einfach.
    Über einen Zeitraum von mehr als zwölf Jahren hatte Schäufele einen festen Freund, der mit seinen Macken alles in allem ganz gut zurecht kam. Für den hat er sogar bereitwillig die Küche freigeräumt. Grundsätzlich ist Schäufele also mit seiner Sexualität im Reinen. Bei seiner Arbeit kann er offen über sein Schwulsein reden; seine Kollegen haben das längst akzeptiert.
    Ein anderer Annäherungsversuch an das Thema: In den Ratgeber-Bestsellerlisten liegen derzeit mehrere Bücher ganz weit vorn, die sich mit der Unordnung in der Wohnung auseinandersetzen. Sie tragen Titel wie Weg damit! Entrümpeln befreit oder Schluss mit dem Ballast! Darin heißt es unisono, dass der Zustand der Wohnung die eigene seelische Verfassung widerspiegele. Oder, anders gesagt: „Unordnung in den vier Wänden lässt auf chaotische Verhältnisse im Oberstübchen schließen“, wie in einem Ratgeber behauptet wird.
    Was
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