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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht
Autoren: Axel Kraemer
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bei der ersten Nachfrage Lämmles noch nicht zugeben wollten, dass sie auf andere junge Männer stehen, aber die Schwäbin zeigte sich in solchen Fällen beharrlich.
    So kam mitunter Erstaunliches ans Tageslicht, und ihre Sendung wurde mit so viel kollektiver Begeisterung und radikaler Bereitschaft zu Veränderung aufgenommen, dass einem schon wieder Angst und Bange werden musste.
    An der Mentalität im Musterländle änderte das freilich nur wenig. Und vielleicht ist das auch gut so. Es ist ja beileibe nicht alles an der schwäbischen Volksseele reformbedürftig.
    Stuttgart ist sicherlich eine pedantische Stadt, und viele ihrer Einwohner mögen einem sehr schrullig und fast schon autistisch erscheinen. Manchmal kann sie indes auch ganz mondän sein.
    Das ist nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit, vor allem nicht für jemanden, der – wie ich – im Ländle aufgewachsen ist und den Anblick schwäbischer Hausfrauen in Schürze und Lockenwicklern verinnerlicht hat, die keuchend die öffentliche Telefonzelle vor ihrem Haus ausschrubben. Ganz zu schweigen von den Rentnern im Unterhemd, die sich mit geballten Fäusten aus dem Fenster lehnen und drohen, die Polizei zu rufen, weil jemand versehentlich das Parkverbot vor ihrem Haus übersehen hat.
    Trotzdem hat die schwäbische Landeshauptstadt auch eine glanzvolle, weltoffene Seite. Zum Beispiel als Wahlheimat von Laura Halding-Hoppenheit, einer eingewanderten Rumänin mit feuerrotem, meist aufgetürmtem Haar. Sie ist zweifellos die mondänste Erscheinung in ganz Stuttgart. Eigentlich kennt sie jeder nur unter ihrem Vornamen Laura. Dafür aber auch wirklich jeder!
    Laura ist Eigentümerin vom legendären King’s Club, eine der ältesten schwulen Discotheken in Deutschland, die 1977 in der Nähe der Fußgängerzone eröffnet wurde und sich immer noch großer Beliebtheit erfreut.
    Die Stuttgarter Zeitung nannte Laura mal die „Übermutter der Schwulenszene“, unter anderem, weil sie ein Vermögen der AIDS-Hilfe gespendet hatte und als einzige Frau Ehrenmitglied im Stuttgarter Lederclub ist, in dem ansonsten keine Frauen zugelassen sind.
    Laura hat auch Kinder, über die man sich unterschied-liche Anekdoten erzählt, wie etwa die, dass sie eines Tages mal nach Hause kamen und fragten: „Mama, ist Ledertyp ein Beruf? Können wir das auch werden?“
    In der Stuttgarter Homo-Szene hat Laura ihre Heimat gefunden. Sie sagt: „Das ist meine Welt.“ Und den Stuttgarter Schwulen geht es mit ihr nicht anders.
    Die Szene ohne Laura: das kann sich dort eigentlich niemand so richtig vorstellen.
    Was hat es eigentlich mit dem beliebten Vorurteil auf sich, dass Schwaben dazu neigen, Geiz geiler zu finden als andere?
    Nun, Geiz, das ist ein Wort, das man in Stuttgart jedenfalls nicht so gerne hört. Geiz: das hört sich schon so an, als wäre es etwas Schlechtes.
    Ganz anders verhält es sich mit dem Begriff Sparsamkeit. Jawohl, das ist eine gute Sache, das ist außerdem ökologisch sinnvoll, dazu stehen sie – warum sollte das auch etwas sein, wofür man sich zu schämen hat? Anderswo könnte man sich ruhig eine Scheibe davon abschneiden.
    Holger Schäufele gehört zu jenen, die das Sparen und Bewahren zu ihrem Hobby erkoren haben. Mindestens einmal die Woche, wenn nicht noch öfter, zieht er durch Stuttgarter Straßen und sammelt ein, was unbedachte Leute auf den Sperrmüll geworfen haben. Das ist für ihn eine Beschäftigung, die er so leidenschaftlich betreibt, als wäre es eine Abenteuer-Expedition durch den Dschungel.
    Auf seinen Touren sammelt er alles in den Kofferraum seines alten Ladas, was noch einen Wert haben könnte. Als Kulturgut oder einfach zum Gebrauch. Selbst konservierte Lebensmittel, deren Haltbarkeit laut Aufdruck längst überschritten ist. Natürlich nur, sofern die Packung noch nicht angebrochen ist.
    „Sich an das Verfallsdatum zu halten, ist Unsinn“, sagt er. „Man macht bei Bedarf auf, schaut, wie es drinnen aussieht, und wenn kein Indiz dagegen spricht, kann man das noch gut essen. Mein Rekord ist ein Joghurt, der sich bei mir im Kühlschrank versteckt hatte und dessen Haltbarkeitsdatum schon zehn Monate verstrichen war.“
    Diesen hat er anscheinend verzehrt, ohne Schaden an seiner Gesundheit zu erleiden.
    Die Leute, findet Schäufele, sind einfach zu nachlässig. Auch mit dem Leergut, das sie häufig unbedacht in den Mülleimer werfen oder irgendwo auf der Straße stehen lassen.
    Gestern nacht zum Beispiel, als er vom King’s Club nach Hause
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