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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht
Autoren: Axel Kraemer
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Verschwörung. Draens Jugendzimmer mit den milde lächelnden Helena-Rubinstein-Gesichtern an den Wänden gehört zu den konspirativen Orten, an denen sie ihren Ausgang nahm.
    Inzwischen arbeitet Draen seit mehr als zehn Jahren in der Branche, in der schätzungsweise zwei Drittel aller beschäftigten Männer schwul sein dürften – ein Drittel aber immerhin heterosexuell. Wieso fühlen sich eigentlich mehr Schwule als Heteros dazu berufen, Karriere in der Kosmetikbranche zu machen?
    „Keine Ahnung. Ich hab mir darum eigentlich noch nicht so viele Gedanken gemacht. Vielleicht, weil sie mit schönen Dingen umgeben sein wollen. Visagisten sind Menschen, die gerne im Mittelpunkt stehen. Das trifft auch auf mich zu; ich stehe auch heute noch gerne im Mittelpunkt. Inzwischen brauche ich aber das starke Make-up nicht mehr dazu. Es gelingt mir inzwischen auch ohne.“
    Wie ist das eigentlich mit den metrosexuellen Männern? Ist das ein ernstzunehmender Trend? Gibt es wirklich eine nennenswerte Zahl an heterosexuellen Männern mit manikürten Fingernägeln, die regelmäßig bei ihm Düfte und Hautpflegeprodukte kaufen?
    „In den letzten zwei, drei Jahren ist mir aufgefallen, dass die Nachfrage steigt. Die Kosmetikindustrie kommt dem Trend entgegen und legt immer mehr Pflegeserien für Männer auf. Also, ich finde das toll. Auf diesem Weg kommen sich heterosexuelle und homosexuelle Männer doch näher!“
    Nun ja.
    Eine Frage brennt mir freilich noch unter meinen nichtmanikürten Fingernägeln: Sind die Schwaben nicht viel zu knickrig, um 30 Euro für ein Döschen Körperlotion hinzublättern?
    „Nein, überhaupt nicht. Das Pflegebewusstsein ist in Stuttgart sehr ausgeprägt, auch bei den Männern. Man merkt, dass die Leute hier mehr verdienen als beispielsweise in Berlin. Für gute Produkte sind sie bereit, Geld auszugeben. Sparsamkeit hin, Sparsamkeit her.“

    Unsere kleine Farm
    Wo die schöne schwule Welt an Grenzen stößt
    Ein Leben in ländlicher Idylle. Das Einfamilienhaus steht in einem großem Garten mit Gänsen, Hühnern und Puten. Von einem Panoramafenster aus schweift der Blick über eine weite, hügelige Landschaft in der Eifel, ganz im Westen von Deutschland. Der Wald dort am Horizont gehört schon zu Belgien. Hier wohnt die Familie Meurers: zwei Erwachsene, zwei Kinder.
    Guido und Thomas Meurers, beide Ende dreißig und eher der Typ kerlige Schwule, sind seit über zwölf Jahren ein Paar. Vor drei Jahren haben sie sich verpartnern lassen. Im Flur hinter einem Glasrahmen stecken noch die selbstgebastelten Glückwunschkarten zur Hochzeit, die sie in einer Dorfgaststätte mit über hundert Gästen gefeiert haben. Ein paar Freunde hatten sich unbemerkt von der Party geschlichen und das Haus des frischgebackenen Ehepaars in ein Chaos verwandelt – ein Ritual, das in der Gegend üblich ist.
    „Das ganze Schlafzimmer war voller Reis“, lacht Thomas, als er sich daran erinnert.
    Das Heim macht einen gemütlichen Eindruck. Licht flutet an diesem Sonntagnachmittag durch die großen Fenster im Wohnraum, von der Decke baumeln zwei Holzmarionetten, gleich neben der Tür zur Küche befindet sich die Essecke, an der wir Platz nehmen. Zwei Hunde kommen angerannt, und gleich dahinter stürmen die beiden Teenager herein, Nadine, 13, und Christian, 15 Jahre alt. Die beiden verstummen auf einen Schlag und sagen artig „Guten Tag“.
    Wer sich im Lauf der Jahre an das Singledasein in der Großstadt gewöhnt hat und dann die Meurers mit den Kindern, dem Haus, dem Garten und all den Tieren sieht, mag sich im ersten Moment an die heile Welt einer Familienserie aus den siebziger Jahren erinnert fühlen. An Unsere kleine Farm oder Die Waltons, nur eben in einer schwulen Variante.
    Als ich diesen Eindruck äußere, bricht Thomas in schal-lendes Gelächter aus, Guido zuckt mit den Schultern und schaut mich etwas ratlos an. Nein, es handelt sich um ein Missverständnis, wie sich im Verlauf des Gesprächs herausstellen wird. Guido und Thomas haben sich hier nicht etwa einen lang gehegten Traum erfüllt, oder zumindest war es kein Ziel, auf das sie bewusst hinsteuerten. Sie haben es auch nie als Aufgabe empfunden, dem Ideal von der heterosexuellen Kleinfamilie nachzueifern, und dass sie es eines Tages auf ihre eigene Art und Weise leben würden, wäre ihnen vor rund zehn Jahren niemals in den Sinn gekommen. Das jedenfalls nimmt man ihnen gerne ab, nachdem man ihnen eine Weile zugehört hat.
    Im Großen und Ganzen fühlten sie sich
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