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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht
Autoren: Axel Kraemer
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nicht bei Ihnen?“, hieß es da.
    Doch Vertrauen stellt sich nicht von heute auf morgen ein: „Egal, was ihre Eltern auch mit ihnen angestellt haben, die Kinder glauben fest daran, dass sie selbst für ihr Unglück verantwortlich sind: ,Wären wir doch lieb genug gewesen, hätte man uns nicht den Eltern weggenommen’“, berichtet Guido.
    Ganz falsch liegt man mit der Annahme, dass misshandelte Kinder mit einem Gefühl der Erlösung und der Dankbarkeit bei ihren Pflegefamilien ankommen. Ganz im Gegenteil. Das Misstrauen und die Distanz sind eine Zeit lang sehr ausgeprägt. Dass sie dann auch noch bei zwei Schwulen untergebracht werden, macht die Sache für die Kinder nicht einfacher. Christian wurde deswegen in der Schule immer wieder gehänselt. Das hat sich inzwischen allerdings gelegt.
    „Christian selbst hat daran gearbeitet“, sagt Guido, „und seine Lehrer sind sehr aufgeschlossen. Nach einem Gespräch in der Klasse war das Problem gelöst. Das hat ihm ein Stück weit Selbstbewusstsein gegeben. Heute sagt er frei heraus, dass wir für ihn seine Eltern sind. Nicht Väter, sondern Eltern.“
    Einfach ist der Umgang mit den Pflegekindern in den seltensten Fällen. „Fast alle sind in irgendeiner Weise traumatisiert“, sagt Guido, „mit positiven Gefühlen können die häufig nicht umgehen. Da verbringt man zum Beispiel einen schönen Tag im Zoo, alles ist toll gelaufen, und spätestens auf dem Nachhauseweg fängt einer an, aggressiv zu werden.“
    Einmal, berichtet er, sei ein elfjähriger Junge mit dem Messer auf sie losgegangen. Er war der einzige, mit dem sie nicht zurecht kamen. Noch am selben Abend rief Guido den Notdienst beim Jugendamt, der Kleine musste wieder gehen.
    Weil fast alle Kinder aus Verhältnissen kommen, in denen Chaos herrscht, gehört Disziplin zu den wichtigsten Erziehungsmethoden von Pflegeeltern. Die Fähigkeit, sich in eine Gemeinschaft einzufügen. Genau das mussten Guido und Thomas selbst erst mal wieder neu lernen: „Für das Familienleben muss man sich selbst komplett zurückschrauben“, weiß Thomas. Und Guido ergänzt: „Früher gingen wir einfach irgendwo essen, wenn nichts im Kühlschrank war. Heute müssen wir uns einen genauen Plan machen, was wann gekocht wird.“
    Nun ist nichts mehr, wie es früher war. Eine Umstellung, die eigentlich jeden betrifft, der eine Familie gründet. Vor allem, wenn beide Eltern berufstätig sind. Guido arbeitet als Hausmeister in einem Hotel, und Thomas ist Krankenpfleger einer mobilen Pflegestation. Da fügt es sich gut, dass er eine sehr kulante Chefin hat, die ein Auge zudrückt, wenn er sich um eines der Kinder kümmern muss.
    Für die Kinder wiederum bedeutet Disziplin unter anderem, dass es Abendessen erst dann gibt, wenn Katzen und Hunde gefüttert sind. „Wenn nicht, sind es die Mägen der Kinder, die zuerst knurren“, sagt Guido.
    Gerne hätten Thomas und Guido auch mal ein jüngeres Kind zur Pflege. „Was zum Tätscheln“, wie sie sagen. Aber das war ihnen bislang nicht vergönnt. Fühlen sie sich da nicht auf eine gewisse Weise von den Behörden benachteiligt?
    „Beim Jugendamt heißt es: Wir suchen die passenden Eltern für die Kinder, nicht umgekehrt.“
    Das klingt plausibel. Und irgendwie ist das ja auch eine Anerkennung für die beiden, wenn man ihnen so schwierige Fälle anvertraut. Und doch stellt sich die Frage: Wieso nehmen sie eine so unglaubliche Verantwortung überhaupt auf sich?
    „Für uns gehört das zu einem erfüllten Leben“, sagt Thomas voller Überzeugung. Und Guido stimmt ihm zu.
    „Wir haben zu manchen Pflegekindern, die nur vorübergehend bei uns waren, auch heute noch Kontakt. Ein Mädchen, das früher drogenabhängig war, kommt uns immer mal wieder besuchen und ruft an. Für sie sind wir immer noch Bezugspersonen. Das ist ein tolles Gefühl.“
    Können sie sich inzwischen noch vorstellen, ohne Kinder zu leben?
    „Ja, sicher können wir das“, seufzt Thomas. „Wir genießen die Ruhe, wenn die mal bei der Oma oder sonst wo sind. Und irgendwann sind wir auch froh, wenn Christian erwachsen ist und für sich selbst sorgt.“
    „Es ist eine Ewigkeit her, dass wir mal in Urlaub fahren konnten“, wirft Guido ein.
    Die beiden sind sich einig: Kinder aufziehen, das ist zwar was Schönes, aber es gibt viele schöne Beschäftigungen auf der Welt, die einem Befriedigung geben.
    „Wir unterscheiden uns nicht von anderen Eltern“, sagt Thomas. „Wir freuen uns mit dem Kind, wir fühlen mit ihm, wenn
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