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Grayday

Grayday

Titel: Grayday
Autoren: Hari Kunzru
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hineingezwängt worden, der ihn verdutzt ansah, als er ihn auf Englisch anzusprechen versuchte. Guy suchte seine Taschen durch und stellte fest, dass Brieftasche und Handy fehlten. Er vermutete, dass Irina sie gestohlen hatte. Wenigstens hatte sie ihm seine teure Armbanduhr gelassen.
    Während der Polizeiwagen sich durch die Brüsseler Straßen bewegte, begannen die Chinesen zu rauchen und sich leise und unbekümmert zu unterhalten. Der Wagen füllte sich mit blauem Tabakrauch, und Guy versuchte sich zu überlegen, wie er am schnellsten aus der Sache herauskäme. Ohne Ausweise würde es, vermutete er, eine oder zwei Stunden dauern, bis seine Identität festgestellt war. Er würde wenig geschlafen haben, aber die Sitzung sollte er trotzdem rechtzeitig erreichen. Vielleicht hätte er sogar Zeit, sich eine Stunde hinzulegen. Es war möglicherweise sogar was Positives an dem, was hier geschah. Beim ersten koordinierten PEBA-Einsatz ergriffen zu werden konnte in einem gewissen Licht als Aktivität, die mit seiner Arbeit zusammenhing, betrachtet werden. Er sah soeben das System in Aktion. Sein Missgeschick war in Wirklichkeit Feldforschung. Im Geiste begann er einen neuen Abschnitt seiner Präsentation zu skizzieren. Bei Tomorrow* halten wir viel davon, uns die Hände schmutzig zu machen. Wir halten viel von direkten Erkenntnissen darüber, wie sich die Marke im täglichen Einsatz verhält … Er machte es sich auf der Metallbank bequem und lächelte die Leute gegenüber an. Ihm fehlten nur Nurofen und der Zugang zu einem Telefon. Dann käme alles wieder in Ordnung.
    In einem Hangar des Flughafens Zaventem war von der belgischen Einwanderungsbehörde ein provisorisches Bearbeitungszentrum errichtet worden. Der Polizeiwagen hielt an einem Seiteneingang, und der immer noch lächelnde Guy erhielt eine Nummer und wurde in einen Warteraum geführt. Auf Plastikstühlen saßen hier baumlange Somalier und winzige Latinos, Nigerianer und Weißrussen, Filipinos und Kasachen. Gruppen junger Männer berieten sich mit zusammengesteckten Köpfen. Eltern trösteten schreiende Babys. Es gab mehr Illegale, als Guy erwartet hatte. Es sah so aus, als hätte man die Stadt auf den Kopf gestellt und ausgeschüttelt. Eine eindrucksvolle Unternehmung.
    Nach einigen Minuten relativ interessanter Beobachtungen begann seine gute Stimmung nachzulassen. Sein Stuhl war unbequem, und der alte schlafende Araber neben ihm sank ihm fortwährend auf die Schulter. Er versuchte zwar die Aufmerksamkeit der Wachtposten auf sich zu lenken, aber keiner schien ein Interesse zu haben, mit ihm zu sprechen. Er sagte laut und deutlich: Ich bin ein Bür-ger der EU. Ich brau-che ein Ta-xi zu mei-nem Ho-tel. Die Minuten dehnten sich in die Länge, und seine Heiterkeit wich zunehmender Gereiztheit.
    Er versuchte ein bisschen zu schlafen, wurde aber durch den Lärm und die hellen Halogenlampen im Hangar wach gehalten. Einer nach dem anderen wurden die Verhafteten in einer Reihe oben offener Kabinen am anderen Ende des Hangars verhört. Anschließend wurden die meisten wieder in den Warteraum geführt. Um viertel vor acht wurde endlich Guys Nummer aufgerufen. Schreiend betrat er die Kabine, wo sich seine in Stunden aufgestaute Empörung endlich Luft machte. Über ihren hässlichen kleinen Schreibtisch gebeugt, brüllte er die Beamtin der Einwanderungsbehörde an, verlangte, sofort mit dem britischen Konsul sprechen zu können, und warf mit Phrasen wie »widerrechtliche Festnahme« und »Freiheitsberaubung« im gerechten Zorn eines Menschen um sich, der in seiner Bewegungsfreiheit sowohl eingeschränkt als auch behindert worden sei und der vermutet, dass die lokalen Normen der Hilfe und Sicherheit weit unter das gesunken sind, was Ihre Britannische Majestät erwarten würde.
    Obgleich er wahrscheinlich in den meisten Punkten, die er vorbrachte, sachlich Recht hatte, war seine Haltung nicht hilfreich. Die Beamtin schien sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, wandte sich erst auf Französisch an ihn, dann (als er sie anschrie, sie sei eine dämliche taube Zicke, die in zwei Minuten ihren Job los wäre, wenn sie ihm nicht verdammt noch mal ein Taxi riefe) auf Englisch, um ihn mit lustlos-monotoner Stimme zu fragen: »Wie ist Ihr Name?«
    Er nannte ihr seinen Namen. Sie fragte ihn nach seinem richtigen Namen. Er nannte ihr noch mal seinen Namen und sagte ihr dann, sie solle ihn am Arsch lecken.
    »Sie sprechen sehr gut Englisch«, sagte sie. »Was ist Ihre
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