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Grappa lässt die Puppen tanzen - Wollenhaupt, G: Grappa lässt die Puppen tanzen

Grappa lässt die Puppen tanzen - Wollenhaupt, G: Grappa lässt die Puppen tanzen

Titel: Grappa lässt die Puppen tanzen - Wollenhaupt, G: Grappa lässt die Puppen tanzen
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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unseren Gedanken nach. In einer Stunde würde die Redaktionskonferenz stattfinden. Ein Tag mit viel Arbeit wartete auf mich.
    Tatsächlich war der Mord an einer unbekannten jungen Frau im Radio gemeldet worden. In der Redaktion wusste man Bescheid. »Hat der Mord etwas mit der Schließung des … Straßenstrichs zu tun?«, fragte Chefredakteur Dr. Berthold Schnack. Er sprach das Wort Straßenstrich aus, als habe er es erst vor zwei Minuten in seinen Wortschatz aufgenommen.
    »Wir haben die Frau entdeckt«, stellte ich klar. »Sie lag in einem Hinterhof in der Juliusstraße. Sie war nackt, die Hände gefesselt. Mehr wissen wir nicht.«
    »Und wie kommt es dazu, dass ausgerechnet Sie, Frau Grappa, den Leichnam aufspürten?« Schnacks Tonfall klang sehr nach Missbilligung.
    »Wir haben nichts aufgespürt, sondern zufällig entdeckt. Da war ein kleiner Junge, der weglief. Er wirkte, als würde er Hilfe brauchen. Also bin ich ihm gefolgt.«
    »Grappa und ihr berühmtes Mutterherz«, flachste Sportreporter Simon Harras.
    »Gibt es Fotos?«, fragte Schnack knapp.
    Wayne zog eine Mappe hervor und legte einen Stapel Fotos auf den Konferenztisch. »Kein schöner Anblick«, warnte er.
    Niemand wollte zugreifen. Doch Schnack musste – er hatte schließlich nach ihnen gefragt. Er blätterte die Bilder durch. Die Kollegen fixierten ihn.
    »Ziemlich übel. Und auf keinen Fall etwas für unsere Leser. Überlassen wir der Polizei das Aufklärungsgeschäft. Wir beschränken uns auf die Fakten.«
    Pöppelbaum schaute zu mir herüber und sein Gesichtsausdruck entsprach dem, was ich dachte: dass mich Schnack mal konnte!
    »Mal abwarten, wie sich die Sache noch entwickelt«, sagte ich. »Wir können unsere Leser doch nicht von Informationen abschneiden, die sie sich dann bei der Konkurrenz holen.«
    »Ich bitte nur um Zurückhaltung.« Schnack deutete auf die Fotos. »Diese Fotos veröffentlichen wir nicht. Wir sind ja nicht die Blöd-Zeitung.«
    In diesem Punkt konnte ich meinem Chef uneingeschränkt zustimmen.
    Am Nachmittag erfolgte die erste gemeinsame Presseerklärung von Polizeipräsidium und Staatsanwaltschaft. Sie hatten sogar ein Foto der Leiche mitgeschickt, mit der Bitte, es zwecks Identifizierung zu veröffentlichen. Natürlich war nur das Gesicht abgebildet und offensichtlich hatte man mit einem Bildbearbeitungsprogramm ganze Arbeit geleistet. Die Tote sah aus, als schliefe sie.
    Wer kennt diese Frau?
    Unbekannte weibliche Leiche in einem Hinterhof der Juliusstraße aufgefunden. Polizei und Staatsanwaltschaft gehen von einem Gewaltverbrechen aus. Die Bürger werden um Mithilfe gebeten.
    Die Unbekannte ist zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt, 1,68 m groß und schlank. Es könnte sich um eine bulgarische Staatsangehörige handeln, die der Ethnie der Roma zuzuordnen ist. Vorbehaltlich der Ergebnisse der Obduktion wird festgestellt, dass die Frau Opfer eines Gewaltverbrechens wurde. Ihr Körper weist Spuren von erheblichen Misshandlungen und zahlreiche Messerstiche auf. Nach ersten Ermittlungen wurde die Tote auf dem Gelände abgelegt. Der Fundort ist also nicht der Tatort. Zeugen werden gebeten, sich mit den Behörden in Verbindung zu setzen.
    Das war mager. Ich rief Kleist an.
    »Wäre es nicht sinnvoll, auch nach dem Jungen zu fragen? Vielleicht kennt ihn jemand«, fragte ich.
    »Liebe Maria, das werden wir so schnell wie möglich tun. Flugblätter sind in Vorbereitung. Es hat aber wohl wenig Sinn, sie nur auf Deutsch zu verbreiten. Wir denken, Bulgarisch reicht auch nicht. Wir brauchen den türkisch angehauchten Dialekt der bulgarischen Roma. Ich habe Kontakt zur Botschaft aufgenommen. Aber die haben niemanden und sind auch sonst nicht besonders hilfsbereit.«
    »Das ist nicht verwunderlich«, stellte ich fest. »Die Roma werden in Bulgarien total unterdrückt. Deshalb kommen sie ja ins Wolkenkuckucksheim namens Bierstadt.«
    »Um sich hier umbringen zu lassen«, seufzte Kleist. »Die Mission schickt uns eine Dolmetscherin. Und zwar eine, die sich in der Szene auskennt.«

Eine Rose im Fenster und Sex-to-go
    Das Thema war nicht neu. Mein Artikel über die Situation der Romaminderheit in Bulgarien war schon vor zwei Wochen erschienen. Da hatte der Rat der Stadt das Thema ›Schließung des Straßenstrichs‹ diskutiert.
    Die Roma stammten aus Plovdiv, der zweitgrößten Stadt Bulgariens. Vordergründig eine interessante Touristenstadt mit alter Geschichte. Doch kaum ein Reisender verirrte sich in die Romagettos – die
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