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Grappa lässt die Puppen tanzen - Wollenhaupt, G: Grappa lässt die Puppen tanzen

Grappa lässt die Puppen tanzen - Wollenhaupt, G: Grappa lässt die Puppen tanzen

Titel: Grappa lässt die Puppen tanzen - Wollenhaupt, G: Grappa lässt die Puppen tanzen
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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jeden Abend nach Büroschluss den Einstieg in einen entspannten Feierabend suchten, hatten die alteingesessenen Nordstadtbewohner vertrieben.
    Jede Großstadt hat ihren Straßenstrich. Doch in Bierstadt hatten sich die Dimensionen der Sache in den letzten zwei Jahren stark verändert. Statt der vierzig Frauen, die früher ihre Dienste angeboten hatten, waren es zuletzt angeblich siebenhundert gewesen – hauptsächlich Romafrauen aus der bulgarischen Stadt Plovdiv. Seit Bulgarien in die Europäische Union aufgenommen worden war, konnten ihre Bürger nicht mehr einfach abgeschoben werden. Ihnen kamen alle Rechte der Bewohner von EU-Staaten zugute.
    Siebenhundert neue Strichmädchen – das katapultierte die Tarife nach unten. So war Bierstadt zur Billigpreis-Sexmeile der Region »aufgestiegen«.
    Die alteingesessenen Huren waren natürlich sauer. Sie hatten ihre festen Preise und machten nur Safer Sex. Nur die wenigsten hatten Zuhälter, sodass sich die Kriminalität im Umfeld des roten Geschäfts in Grenzen gehalten hatte. Die Bulgarinnen brachten ihre Männer, Brüder oder Väter mit, die in Bierstadt ebenfalls ihr zweifelhaftes Glück versuchten – mit Gelegenheitsjobs. Und wenn es die nicht gab, mit Ta schendiebstahl, Einbruch oder anderen kriminellen Delikten.

Muttergefühle zu früher Stunde
    Die Bagger rückten an. Sie sollten die Verrichtungsboxen niederreißen, die erst vor zwei Jahren zum Schutz der Straßendirnen errichtet worden waren. Der charmante Name ›Verrichtungsbox‹ entsprang der Fantasie der Amtssprache. Die Gevierte ähnelten Carports ohne Dach. Der Freier fuhr mit seinem Auto in ein Karree und ließ sich dort bedienen. Bei Bedrohungen konnte die Frau einen Alarmknopf drücken, der in der Box angebracht war. Eine sinnvolle Angelegenheit, die in vielen Großstädten die Gewaltverbrechen an Straßenhuren reduziert hatte.
    Die schweren Maschinen hebelten die Holzverschläge aus den Verankerungen. Mit einigem Lärm knickten sie zusammen. Blitzlichtgewitter. Pöppelbaum wieselte zwischen den Holzgattern hin und her, kniete sich sogar hin, um die Zerstörung durch die Bagger aus der subjektiven Sicht zu fotografieren.
    Dann war alles platt. Das war’s dann wohl.
    »Wollen wir?«, fragte Wayne.
    Ich blickte über seine Schulter und sah eine kleine Gestalt zwischen zwei Häusern verschwinden. Diese Häuser schienen nicht bewohnt. Eins grenzte an das Gelände eines Holz-Großhandels namens Holz-Elend, das durch einen hohen Bretterzaun geschützt war.
    »Grappa, was ist?«
    »Ich hab den Jungen gerade noch mal gesehen. Er ist zwischen die beiden Häuser dort gelaufen.«
    »Grappa! Hier treiben sich viele Leute rum, auch Kinder.«
    »Irgendwas ist mit diesem Kind. Und ich will wissen, was.«
    Pöppelbaum verzog das Gesicht. »Bisschen spät für Muttergefühle, oder? Und dann noch um diese Uhrzeit.«
    »Komm einfach mit und lass mich machen.«
    Er folgte mir. Der Weg lag voller Plastiktüten, alter Möbel und sonstigem Unrat. Es roch nach Moder und vergammelten Speiseresten. Ich bemühte mich, nicht auf einen gebrauchten Präservativ zu treten.
    »So eine verdammte Sauerei«, jammerte Wayne. »Und ich hab meine neuen Schuhe an. Bugatti-Sneakers.«
    »Dein Problem. Wir sind hier nicht in der Oper, sondern auf dem Strich«, meinte ich ungerührt. »Da – ein Hinterhof – mit einem Tor davor.«
    Ich versuchte, das mannshohe Gatter aufzuschieben. Es ruckelte zwar, ließ sich aber nicht öffnen. Ein Vorhängeschloss verhinderte das.
    »Weißt du, was eine Räuberleiter ist, Wayne?«
    »Klar.« In seinem Gesicht stand die nackte Angst. »Ich bin aber nicht die Leiter und du nicht der Räuber.«
    Ich grinste. »Keine Sorge.«
    Ich trug einen leeren Bierkasten heran, der mir zuvor in einer Nische aufgefallen war. »Stell dich hier drauf, nimm deine Kamera und knips ein Mal über das Gatter. Oder auch zwei Mal. Dann wissen wir, was sich dahinter befindet.«
    »Gute Idee.« Langsam zeigte Pöppelbaum so etwas wie professionelles Engagement.
    Er kletterte auf den Kasten, streckte die Arme und schoss eine Reihe von Fotos.
    Wir schauten uns die Ausbeute an.
    Schon beim zweiten Foto bekamen wir große Augen, beim dritten und vierten zückte ich mein Handy. Als die Diaschau zu Ende war, stöhnte Wayne leise und übergab sich an die Hauswand.

Die weggeworfene Frau
    Zehn Minuten später hatte die Polizei den Weg zwischen den Häusern abgesperrt. Noch mehr Beamte rückten an. Sie gehörten zur Mordkommission.
    »Geht
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