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Grandios gescheitert

Grandios gescheitert

Titel: Grandios gescheitert
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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mit der Zahl der Leichtgläubigen sank auch die der Betrüger. Ende des 19. Jahrhunderts aber kam die Transmutation wieder in Mode – zu einer Zeit, als beispielsweise die Erklärungsmodelle der Atomtheoretiker noch keineswegs unangefochten waren oder neue Erkenntnisse Alchemisten zum Anlass gereichten, ihre Überzeugungen als wissenschaftlich abgesichert anzusehen. Um 1900 machte in den USA ein gebürtiger Brite und angeblicher promovierter Wissenschaftler Schlagzeilen, der behauptete, Gold herstellen zu können. Stephen Henry Emmens, ein überaus streitbarer und selbstgewisser Mann, saß im Rollstuhl und betrieb eine Metallfirma in Pennsylvania. Er war ein anerkannter Fachmann in Metallurgie und veröffentlichte ein Buch mit dem Titel Argentaurana , in dem er ein Verfahren zur Goldherstellung aus Silber propagierte. Emmens wurde als »unkonventioneller, schillernder, bilderstürmender, gleichzeitig wissenschaft­licher und pseudowissenschaftlicher Unternehmer« bezeichnet, »breit interessiert, mit fragwürdigen akademischen Weihen und mehr als nur einem Anflug von Paranoia und Megalomanie«. Das klingt wie die Definition eines modernen Alchemisten. Emmens behauptete, aus mexikanischen Silbermünzen Gold hergestellt zu haben, und brachte sogar die U.S. Mint, die Prägeanstalt der Vereinigten Staaten, dazu, eine ansehnliche Menge dieses Goldes aufzukaufen. Um was für ein Gold es sich tatsächlich handelte, konnte nie geklärt werden.
    Wenige Jahrzehnte später foppte auf der anderen Seite des Atlantiks ein listiger Schwabe zahlreiche Leichtgläubige, darunter Erich Ludendorff, General im Ersten Weltkrieg und in den Zwanzigerjahren einer der Wegbereiter des Nationalsozialismus. Franz Tausend, ein Mann mit klassischer Hochstapler-Vita, behauptete entgegen aller chemischen Lehrmeinung, die Herstellung von Gold sei möglich – die Zeitungen attestierten ihm eine »einschmeichelnde Sprache«, die er offenbar gekonnt einzusetzen wusste. Er zweifelte die wissenschaftliche Chemie kurzerhand an und bestand darauf, dass auch Metalle organische Stoffe und daher zur Fortentwicklung fähig seien – wenn man sie nur richtig behandele. Andere chemische Elemente seien ebenfalls transformierbar. 1925 verbreitete Tausend, seit Längerem in Bayern tätig, er sei nunmehr in der Lage, Gold herzustellen. Und wie Jahrhunderte zuvor Fürsten in Geldnot auf großsprecherische Betrüger hereinfielen, so gingen nunmehr rechtsgerichtete deutsche Politiker und Wirtschaftsvertreter den Verlockungen auf den Leim. Ein berühmter Mann wie Ludendorff kam als seriöses Aushängeschild wie gerufen, um Investoren anzuziehen, die allerdings ihr Geld verloren. Ludendorff dagegen verdiente mit und steckte einen Teil des Geldes in ein Naziblättchen, während Tausend reihenweise Schlösser aufkaufte. Doch die geprellten Anleger drangen auf einen Prozess, in dem der Goldmacher schließlich zu fast vier Jahren Haft verurteilt wurde.
    Als wäre diese von den Medien ausgiebig ausgeschlachtete Affäre nicht des Lehrstücks genug gewesen, fiel in den Dreißigerjahren ein weiterer hochkarätiger Nazi auf einen Goldschwindler herein. Der »Reichsführer SS« Heinrich Himmler ließ sich mit dem selbst ernannten Goldhersteller Heinz Kurschildgen ein und verfuhr mit ihm ähnlich wie Edward III. oder August der Starke: Kurschildgen wurde als Sonderhäftling in die Berliner Gestapo-Zentrale verbracht und sollte dort in einem Schuppen sein Können unter Beweis stellen. Das verlief ebenso ergebnislos wie die Versuche des modernen Alchemisten Karl Malchus, der in Dachau in der Obhut der SS Gold herstellen sollte, abermals im Auftrag Himmlers.
    Dieses neuerliche Goldfieber hatte in Deutschland zunächst maßgeblich mit den deutschen Geldsorgen nach der Niederlage des Ersten Weltkriegs zu tun, aus der eine regelrecht erdrückende Reparationslast für die junge Weimarer Republik folgte. In diesem Klima übten sich Betrüger in wilden Versprechungen, wie das Land angeblich im Handumdrehen seine Geldsorgen loswerden könnte. Die Leichtgläubigkeit hochrangiger Nazis wirft dagegen ein Schlaglicht auf deren geistiges Format und ihre unersättliche Gier. Und doch unternahmen damals weltweit auch seriöse Wissenschaftler Versuche mit der Herstellung von Gold und erleichterten damit skrupellosen Betrügern das Geschäft.
    Im Zuge wissenschaftlicher Fortschritte von Atomphysik und Atomchemie konnte seither auch tatsächlich nachgewiesen werden, dass sich Gold künstlich
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