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Gran Reserva

Gran Reserva

Titel: Gran Reserva
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Spiegelreflex lagen mit ihren Objektiven samtbehütet in einem speziellen Koffer hinten im Jeep.
    Doch er drückte nicht ab.
    Dies war Juans Motiv, es wäre wie Diebstahl gewesen.
    Er steckte die Kamera wieder ein, und schrammte dabei mit dem Metall kurz am Reisverschluss seiner Jacke entlang.
    Juan drehte sich um, ließ den Pinsel und die Malerpalette auf den Boden fallen, lief zu Max hinüber und schloss ihn in die Arme. Fest klopfte er ihm auf den Rücken. Max spürte Juans raue Bartstoppeln an der Wange, roch Zigaretten und Wein der Tempranillo-Traube. Das hatte sich also nicht geändert. Wie gut.
    »Ich hab dich erwartet, Max.« Juan ließ ihn nur los, um den Arm um seine Schultern legen zu können.
    Max musste grinsen. »Wir haben uns seit, warte, lass mich zählen, zehn, nein, sogar zwölf Jahren, nicht mehr gesehen. Und du willst mir erzählen, du hättest mich erwartet ?«
    »Ich wusste einfach, dass du irgendwann kommst, dass unsere Geschichte noch nicht zu Ende ist. Das, Mamá und Papá, ist Max, mein bester Freund von der Kunstakademie in Düsseldorf. Ich hab euch doch so viel von ihm erzählt, er schießt diese tollen Fotos.«
    Sie kamen rüber und schüttelten Max die Hände. Gott sei Dank sahen sie davon ab, ihn zu umarmen. Juans Mutter tätschelte ihm liebevoll die Wangen. Max versuchte krampfhaft, seinen Blick auf ihre Augen zu fixieren. Er wollte schließlich nicht den falschen Eindruck erwecken. Aber welcher Eindruck war hier eigentlich der falsche?
    »Wir malen in zwei Stunden weiter, ja? Gleich nach der Siesta! Jetzt muss ich mich um Max kümmern.«
    Die beiden Alten nickten verständnisvoll und zogen sich ihre Kleidung wieder an, die ordentlich über den Ast einer alten Eiche gehängt worden war.
    Max lehnte sich näher zu Juan und sprach leise.
    »Macht es ihnen nichts aus, dass ich sie…?« Obwohl Max beruflich häufig nackte Menschen vor der Kamera hatte, war ihm eine solche Begegnung im Privaten doch ein wenig unangenehm.
    Juan winkte ab. »Sind sie gewöhnt, das hier ist ein offenes Haus. Und sie sind Anhänger der Freikörperkultur. Wenn sie könnten, würden sie sich nie wieder anziehen. Nicht wahr, ihr zwei?«
    Sie lachten. »Im Winter«, sagte Juans Vater mit rauer Stimme, »ist Kleidung manchmal schon ganz nützlich. Oder wenn man anstreicht. Aber sonst? Pah! – Haben wir die Schuhe drinnen stehen lassen, Querida?«
    »Aber sicher, Querido.« Seine Frau nickte mit einem nachsichtigen Lächeln, und sie gingen hinein.
    »Eigentlich wollten die beiden heute eine Führung bei Faustino mitmachen«, erklärte Juan. »Aber ich muss dringend die Bilder für meine große Ausstellung in Bilbao fertigstellen. Nächsten Monat im Guggenheim! Ist das zu fassen, Max? Ich im Guggenheim! Du bist natürlich mit dabei. Keine Widerworte. Und du wohnst natürlich hier, solange du in Rioja bist, ich hab ein großes Gästezimmer, stört dich ja sicher nicht, dass da ein paar Bilder drin stehen.«
    Hatte Juan gerade Faustino gesagt? Von dieser Bodega stammte der erste Rioja, den Max je getrunken hatte. Im Supermarktregal hatte er danach gegriffen, weil er sich mal etwas gönnen wollte. Er war ungemein animalisch, fast fleischig und ungezähmt gewesen. Nie zuvor hatte er so etwas verkostet. Mit einem Wein von Faustino hatte seine Liebe zu Rioja-Wein begonnen. Und von da an hatte er sich mehr und mehr mit Wein, den verschiedenen Rebsorten und Weingütern beschäftigt und sich ein stattliches Wissen angeeignet. Was für ein Zufall, dass sich schon an seinem ersten Tag hier die Chance bot, seine Liebe zu dieser wunderbaren Weingegend dort zu zelebrieren, wo sie ihren Anfang nahm. Er würde Fotos schießen können, bei deren Betrachtung man den Wein förmlich auf der Zunge spüren kann.
    »Sag mal, könnte ich vielleicht auf diese Führung gehen? Das wär der Wahnsinn.«
    Juan hob den Zeigefinger. »Die Führung von meinen Eltern wäre schon heute Morgen gewesen, aber warte eine Sekunde, vielleicht gibt es ja noch eine.« Schon war er verschwunden.
    Erst jetzt, da Max nicht mehr von den beiden Nackten abgelenkt war, entdeckte er, dass in fast jedem Baum eine Katze lag. Es war wie in einem Wimmelbild. Nur wenn man genau hinsah, erkannte man die vierbeinigen Bewohner. Ein großer, sandfarbener Kater mit weißem Kinn und ausgesprochen wuscheligem Fell und buschigem Schwanz fixierte ihn interessiert von einer Astgabel aus. Er ließ ihn keine Sekunde aus den Augen, beobachtete jede Bewegung des Neuankömmlings aus
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