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Gran Reserva

Gran Reserva

Titel: Gran Reserva
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Deutschland.
    Juans Eltern traten aus dem Haus – sie hatten ihre Schuhe offensichtlich gefunden – und verabschiedeten sich von Max. Sie umarmten und küssten ihn und luden ihn zu sich zum Essen ein. Juan riefen, nein, brüllten sie ihren Abschiedsgruß zu.
    Dieser brüllte zurück.
    Spanien, alles ein paar Dezibel lauter. Und einige Stufen herzlicher. Max mochte das sehr.
    Juans Stimme war aus dem Haus zu hören, er redete aufgebracht, aber Max konnte nicht genau verstehen, um was es ging. Dann kehrte Stille ein, und Juan kam lachend und mit weit ausgebreiteten Armen zurück. »Ich hab gerade mit der Bodega gesprochen. Sie sagen, du kannst kommen. Die Führung ist allerdings nur auf Spanisch – aber ich hab schon gemerkt, dass du fleißig geübt hast. Sogar einen kastillianischen Akzent hast du, Respekt!«
    Kein bisschen hatte Max geübt, aber für die Arbeit mit spanischsprachigen Models war es sehr hilfreich. Deshalb sprach er mittlerweile auch ganz gut Portugiesisch und ein paar Brocken Russisch.
    »Wann startet die Führung denn?«
    Juan zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, in einer halben Stunde. Aber genau kann ich es dir nicht sagen.« Er hob sein blankes Handgelenk. »Ich hab noch immer keine Uhr. Wenn du gleich losfährst, müsstest du es aber schaffen. Bring eine Flasche Gran Reserva mit, damit stoßen wir dann heute Abend auf unser Wiedersehen an. Und für den Rest der Nacht stelle ich den Wein zur Verfügung. Mensch, Max, ich freu mich so! Dass du es endlich geschafft hast!«
    Ja, dachte Max, ich habe es endlich geschafft.
    Die Bodegas Faustino befanden sich nördlich von Logroño, an der Carretera De Logroño im kleinen Ort Oyón. Die Straße war gesäumt von Nutzbauten, bei denen nicht einmal versucht wurde, irgendetwas zu verschönern. Die Bodegas Faustino reihten sich nahtlos ein. Hier wurde Wein gearbeitet. Wer das Etikett des Gran Reserva kannte, das aus jedem Quadratmillimeter Tradition ausstrahlte wie Penélope Cruzʼ Sex-Appeal, der erwartete eine einfache Hütte, in der singende Großmütter Trauben stampften und jede Flasche per Hand aus uralten Holzfässern befüllten.
    Keine einzige Großmutter zu sehen.
    Weit und breit nicht.
    Auch keine Hütten. Keine Penélope Cruz. Nicht einmal eine Montserrat Caballé. Wobei Max auf die am ehesten verzichten konnte.
    Man fuhr durch ein Tor aus grauen Steinen mit drei Spitzen, auf dem in der Mitte das weltberühmte Porträt prangte, das den besten Wein des Hauses, den wohl bekanntesten Rioja-Wein der Welt, den Gran Reserva »Faustino I«, zierte. Ein Meisterwerk von Rembrandt. Wie Max wusste, zeigte es kein Mitglied der Familie Martinez, welcher die Bodegas gehörten, sondern den holländischen Handelsmann Nicolaes van Bambeeck, und stand für die Liebe der Familie zu Kunst und Handel. So hatte es ein Holländer geschafft, für viele Menschen auf dem Globus zu einem der bekanntesten Spanier zu werden.
    Ein Weingut mit Geheimnissen.
    Hinter dem Tor erhob sich ein zweigeschossiges Haus, dessen deutlich sichtbare Holzbalken fast wie Fachwerk aussahen. Links davon befand sich ein dreigeschossiges Ge„bäude, auf dem in riesigen Buchstaben »Faustino V« angebracht war, sowie eine lange Lagerhalle.
    Max sollte am Haupteingang abgeholt werden, aber außer ihm stand niemand auf dem großen Parkplatz. Die Sonne schien dies bemerkt zu haben und ihre sämtlichen Strahlen auf Max zu richten. Schatten suchend, stellte er sich vor den schmucklosen Eingang.
    »Hola, ich bin Cristina.« Max drehte sich um.
    Eine ganz unbedeutende, harmlose Bewegung, wie er sie tausendfach zuvor gemacht hatte. Und doch war diese eine in der spanischen Hitze von ganz anderer Bedeutung.
    Cristina lächelte ihn an und blinzelte in die Sonne. »Du musst Max sein. Sollen wir gleich loslegen? Die Gruppe hat leider abgesagt, wir sind nur zu zweit.«
    Sie trug ihre Haare im Pferdeschwanz, vorne zu einem Pony geschnitten – und hatte dunkelbraune Augen, wie Max sie noch nie fotografiert hatte. Sie waren so wunderschön, so tief, und so viel lag in ihnen, Wärme, Lebensfreude und eine große Portion Vorwitz.
    Er war ihr auf Anhieb verfallen.
    Obwohl oder vielleicht gerade weil sie kein Supermodel war. Sie war…echt.
    So wie manche Taxifahrer das Gewicht ihrer Fahrgäste auf das Kilogramm genau schätzen konnten, wenn diese Platz nahmen und die Stoßdämpfer nachgaben, so erkannte Max auf Anhieb Größe und Maße einer Frau. Cristina war einen Meter zweiundsechzig klein, schlank, mit
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