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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille
Autoren: Jan Burke
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gesprächig. Ich schätze, er war zu allen ganz freundlich – Sie wissen schon, er hat gelächelt und gewinkt. Aber er hat immer meine Mom angestarrt.«
    Jetzt, wo ich mich an den Armlehnen meines Sitzes festhielt, während das Flugzeug durch die unruhige Luft über der südlichen Sierra Nevada ruckelte, sah ich zu, wie der Mörder nicht weit weg von mir erwachte. Ich konnte mir ohne weiteres ausmalen, wie Nicholas Parrish seiner Beute nachstellte, wie er Julia Sayre anstarrte, wenn sie das Haus verließ, um Besorgungen zu machen, oder wenn sie im Garten arbeitete oder vom Einkaufen nach Hause kam. Wie er sie anstarrte, während sie sich in völliger Sicherheit wähnte.
    Wie er sie anstarrte – auf ganz ähnliche Art wie jetzt mich.
     

3
     
    MONTAG NACHMITTAG, 15. MAI
    Bergland der südlichen Sierra Nevada
     
    Nach einer holprigen Landung auf einer unebenen provisorischen Landebahn mussten wir warten, bis wir alle aussteigen durften. Bob Thompson sprach einen der Wachmänner mit »Earl« an und murmelte ihm einen Befehl zu. Earl war der Erste, der ausstieg. Kurz darauf kehrte er zurück, sagte »alles klar« und machte sich mit den anderen drei Wachen daran, Parrish aus dem Flugzeug zu bringen. Der Nächste war Thompson, gefolgt von einem stillen jungen Mann, der anscheinend sein Assistent war – aber nicht sein Partner. Thompson und Phil Newly, Parrishs Anwalt, waren die einzigen Mitglieder der Gruppe, die ich vor diesem Tag schon gesehen hatte. Vor ein paar Jahren hatte ich über verschiedene Kriminalfälle berichtet und war Newly dabei im Gerichtsgebäude begegnet.
    Thompson und ich kannten einander schon fast zehn Jahre. Die Verachtung beruhte auf Gegenseitigkeit und war massiv. Vermutlich machte mich das zur Vorzugskandidatin im Rennen darum, die Feindseligkeit der anderen Passagiere auf sich zu ziehen. Parrish siegte mit einer Länge Abstand, gefolgt von Newly. Ich als Pressevertreterin landete weit abgeschlagen auf dem dritten Platz.
    Newly und Bill »Flash« Burden, ein Tatortfotograf der Polizei von Las Piernas, trotteten hinter den Wachen drein. Dann kam der Pilot in die Kabine zurück und stellte sich in den Gang. »Sie anderen warten hier, bis Parrish untergebracht ist«, erklärte er und verließ das Flugzeug wieder. Minuten verstrichen.
    »Weißt du, wer vom Forest Service uns abholt?«, hörte ich David Niles fragen.
    »J. C.«, antwortete Ben Sheridan. »Und Andy kommt mit ihm rauf.«
    »Was für ein Andy?«, fragte ich.
    Sheridan beäugte mich kalt und wandte sich dann stirnrunzelnd zum Fenster. Nach kurzem Schweigen sagte David Niles: »Andy Stewart, ein Botaniker, der manchmal mit uns zusammenarbeitet.«
    »Danke, Dr. Niles.«
    »Nennen Sie mich David.«
    Sheridan seufzte laut. Dies schien David geradezu zu amüsieren, doch er sagte weiter nichts zu mir. Ich wusste, dass wir an der Landebahn zwei Personen treffen würden; zwei Männer, die von woanders eingeflogen wurden, aber Thompson hatte lediglich gesagt, sie seien »Teil von Sheridans Team«.
    »Okay, Leute«, rief Earl. Ich stand auf, bedeutete aber David, Bingle, der seit der Landung unruhig war, vorausgehen zu lassen. »Danke«, sagte er und folgte dem Hund. Und so blieb ich mit Ben Sheridan zurück, der immer noch grimmig dreinschaute, während er aus dem Fenster blickte.
    »Hören Sie«, begann ich. »Ich möchte nicht –«
    »Ich lasse Sie hier nicht allein, damit Sie im Flugzeug herumschnüffeln können«, unterbrach er mich. »Gehen Sie raus.«
    Ich spürte, wie die Wut in mir aufwallte, beherrschte mich und verließ das Flugzeug, ohne noch ein Wort an ihn zu richten.
    Am Fuß der Gangway reckte ich mich und betrachtete die vor mir liegende Aussicht. Wir befanden uns auf einer langen Wiese, fast in der Mitte eines schmalen Tals, das bereits im Schatten lag und abkühlte. Der Geruch von Kiefern aus den nahen Wäldern mischte sich mit dem Duft später Frühlingsblumen auf der Wiese sowie mit Gras und Erde. Als ich den schmalen, gemähten Streifen sah, auf dem wir gelandet waren, empfand ich neuen Respekt vor dem Piloten.
    Hier sollte ein Basislager aufgeschlagen werden.
    Nachdem er sich erleichtert hatte, begann Bingle wild über die Wiese zu tollen, wobei er weniger lief als hopste und immer wieder stehen blieb, um seinen Trainer zu animieren, mit ihm zu spielen. Doch David, Sheridan und alle anderen, die nicht mit der Bewachung Parrishs betraut waren, begannen Ausrüstungsgegenstände aus dem Flugzeug zu laden. Ich sammelte
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