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Grab im Wald

Grab im Wald

Titel: Grab im Wald
Autoren: H Coben
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Sie erwähnt werden.«

    »Ich bin eine Person des öffentlichen Lebens.«
    »Das ist uns bekannt.«
    Er schwieg. Ich sah ihn an. »Was noch?«
    »Es ging in den Zeitungsausschnitten nicht um Sie. Wenigstens nicht direkt.«
    »Worum ging’s dann?«
    »Um Ihre Schwester«, sagte er. »Und darum, was damals im Wald passiert ist.«
    Es war schlagartig fünf Grad kälter im Raum, aber hey, schließlich waren wir hier im Leichenschauhaus. Ich versuchte gleichgültig zu klingen. »Vielleicht ist er ein ›Real Crime‹-Fan? Von denen gibt’s jede Menge.«
    Er zögerte. Die beiden Polizisten sahen sich an.
    »Was noch?«, fragte ich.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Was hatte er noch bei sich?«
    York wandte sich an einen Untergebenen, dessen Anwesenheit mir überhaupt noch nicht aufgefallen war. »Können wir Mr Copeland die persönliche Habe des Verstorbenen zeigen?«
    Ich betrachtete das Gesicht des Toten. Es war pockennarbig und faltig. Ich versuchte, mir das Gesicht ohne die Narben und Falten vorzustellen. Ich kannte den Mann nicht. Manolo Santiago war für mich ein Fremder.
    Jemand brachte einen roten Plastikbeutel mit der Kleidung und den persönlichen Gegenständen des Toten. Sie leerten ihn auf einen Tisch aus. Aus der Entfernung sah ich eine Jeans und ein Flanellhemd. Außerdem ein Portemonnaie und ein Handy.
    »Haben Sie das Handy überprüft?«, fragte ich.
    »Ja. Ist ein Wegwerfhandy. Die Ruflisten sind leer.«
    Ich wandte den Blick vom Gesicht des Toten ab und ging zum Tisch. Ich hatte weiche Knie.
    Auf dem Tisch lagen mehrere zusammengefaltete Zettel. Ich nahm einen und faltete ihn vorsichtig auseinander. Es war der
Newsweek -Artikel. Mit Bildern von den vier toten Teenagern – den ersten Opfern des Sommer-Schlitzers. Das erste zeigte immer Margot Green, weil man ihre Leiche sofort gefunden hatte. Doug Billingham wurde erst einen Tag später entdeckt. Das eigentliche Interesse lag aber auf den anderen beiden. Von Gil Perez und meiner Schwester hatte man blutverschmierte, zerrissene Kleidungsstücke gefunden – aber nicht die Leichen.
    Und wieso nicht?
    Ganz einfach. Der Wald war riesig. Wayne Steubens hatte sie gut versteckt. Aber manche Leute, besonders die, die gute Verschwörungstheorien mochten, wollten nichts davon wissen. Warum waren gerade die beiden nicht gefunden worden? Wie hätte Steubens die Leichen so schnell wegschaffen und begraben sollen? Hatte er vielleicht einen Komplizen gehabt? Wie hatte er das hingekriegt? Und was hatten die vier da eigentlich im Wald gemacht?
    Selbst heute, achtzehn Jahre nach Waynes Verhaftung, sprachen die Menschen in der Umgebung noch über die »Geister« in diesem Wald – oder sie spekulierten, ob da ein Geheimkult in einer verlassenen Hütte hauste oder entflohene Patienten aus einer Nervenheilanstalt oder Männer mit Haken statt Händen, die Opfer eines bizarren medizinischen Experiments geworden waren. Hinter vorgehaltener Hand unterhielten sie sich auch über eine Art Waldschrat und erzählten sich, dass man die Überreste seines heruntergebrannten Lagerfeuers gefunden hatte, um das herum noch die Knochen der Kinder gelegen hätten, die er gefressen hatte. Sie sagten auch, dass sie nachts noch manchmal das Heulen und die Schreie nach Vergeltung von Gil Perez und meiner Schwester Camille hörten.
    Ich habe viele Abende allein in diesem Wald verbracht. Ich habe nie jemanden heulen oder schreien hören.
    Mein Blick streifte über die Fotos von Margot Green und Doug Billingham. Dann kam das meiner Schwester. Ich hatte
es schon hunderttausendmal gesehen. Die Medien mochten es, weil es so wunderbar normal wirkte. Camille sah aus wie das Mädchen von nebenan, jedermanns Lieblings-Babysitter, der nette Teenager, der unten an der Straße wohnte. Das Bild passte überhaupt nicht zu Camille. Sie war schadenfroh gewesen, mit lebhaften Augen und konnte Jungs mit einem schrägen »Scher dich zum Teufel«-Grinsen auf Distanz halten. Das Foto traf sie überhaupt nicht. Sie war viel mehr als das. Und genau das hatte sie vielleicht das Leben gekostet.
    Gerade wollte ich mir das letzte Foto angucken, das von Gil Perez, aber plötzlich zuckte ich zusammen.
    Mir blieb das Herz stehen.
    Ich weiß, dass das dramatisch klingt, aber so fühlte es sich an. Ich musterte den Stapel Münzen aus Manolo Santiagos Tasche, und da sah ich ihn, und es fühlte sich an, als hätte mir eine Hand in die Brust gegriffen und mein Herz so fest zusammengepresst, dass es nicht mehr schlagen
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