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Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion

Titel: Gourrama: Ein Roman aus der Fremdenlegion
Autoren: Friedrich Glauser
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verneigte sich, streckte beschwichtigend die flache Hand aus. Der Lärm brach ab.
    Die gleiche Stimme, leise, farblos, ein wenig belegt, so, als müsse sie sich durch einen dünnen Stoff durcharbeiten, begann wieder zu singen: das gleiche Lied. So, ohne jegliche Begleitung, einzig getragen von ihrer eigenen Schwäche und unterstützt von den spärlichen Bewegungen des Kopfes, drang sie doch bis in die hinterste Ecke. Aber die braunen Augen verschmähten es, all die Blicke aufzufangen, die sich wie in einem Knotenpunkt auf ihrem Gesicht trafen. Sie waren in die Ferne gerichtet, sahen wohl nichts, enthielten weder Sehnsucht noch Erinnerung.
    Als sie geendet hatte, beugte sich Chabert zu Lös. Recht anzüglich ließ er das linke Lid einige Male über das Auge klappen und meinte dann: »Hä, Lös, das wäre wohl was für diese Nacht, meinst du nicht, mein Kleiner?«
    Lös schreckte auf und wunderte sich über die Sehnsucht, die ihn langgezogen seufzen ließ. Dann zuckte er mit den Achseln.
    »Das ist ja nur Patschuli, mon capitaine, und der ist schon so gut wie verheiratet.«
    »Verheiratet, haha, verheiratet. Hören Sie doch, Lartigue, was der kleine Lös mir da erzählt.« Der Capitaine beugte sich zum erschöpften Leutnant, um ihm hinter dem Handrücken den guten Witz zu erzählen. Aber Lartigues spröde Lippen blieben fest geschlossen, kein Lächeln vermochte sie zu biegen. Er schien taub zu sein, und der Capitaine wandte sich wieder der Bühne zu.
    Dort trat soeben ein sonderbares Wesen auf. Es schien auf einem Schiebkarren einen andern vor sich her zu fahren. Aber bei aufmerksamem Hinschauen erkannte man, daß der Mann den Oberkörper einer Puppe auf den Rücken geschnallt trug, die in seinen lebenden Beinen auszugehen schien, während ein Paar ausgestopfte Hosen auf dem Schiebkarren mit dem Oberkörper des Mannes verbunden waren. Das Ganze sah grob und grausam aus, die Züge der Puppe waren wild bemalt, sie zeigte scharfe Holzzähne und schlenkerte erschreckend mit den toten Armen. Der Mann selbst hatte auch sein Gesicht ganz weiß angemalt, mit schwarzen Kohlefurchen die Schatten nachgezogen, die durch die Wangen liefen und durch die Stirn, und der große, blutige Mund zog sich bis zu den Ohren. Niemand erkannte zuerst das furchtbare Doppelgeschöpf, bis schließlich einer, der Bescheid wußte, flüsternd die Aufklärung weitergab: »Das ist der Hühnerwald.«
    Capitaine Chabert bearbeitete ununterbrochen seine Schenkel mit den Händen, er hüpfte auf seinem Stuhl und konnte nicht aufhören mit »Ah« und »Oh« und »épatant«. Selbst der Adjutant schien aus seiner Starrheit zu erwachen, ein lautes befriedigendes Grunzen ließ seine langen Schnurrbarthaare zittern.
    »Enfin, j'ai une auto
Et j'y proméne ma femme.«
    sang oben das weiße Gesicht und stieß den Schiebkarren über die holprigen Bretter.
    Als er nach einigen Reigen verschwunden war, erschienen wieder die vier Mundharmonikabläser; sie spielten nun den Sambre-et-Meuse-Marsch, traten dann ab, und Capitaine Chabert bestieg die Bühne. Breitbeinig stand er oben und winkte Lös und den Sergeanten Sitnikoff zu sich herauf. Er wirkte klein und unscheinbar zwischen seinen beiden Untergebenen. Mit zu kurz geratenen Bewegungen erzählte er von der Erstürmung der Bastille, sprach von der Freiheit, die Frankreichs Volk über ganz Europa gebreitet habe. Auch im vergangenen Krieg sei sein Blut für die Befreiung der Menschheit geflossen, und nun folge es weiter seinen edlen Traditionen, wenn es den Flüchtlingen aller Nationen ein Asyl gewähre gegen die Verfolgungen ihrer Regierungen: den Russen gegen die bolschewistische Diktatur, den Deutschen gegen die Reaktion. Frankreich genüge es, zu wissen, daß alle treu zu seiner Ehre stünden, die es aufgerichtet habe vor mehr als hundert Jahren: die Tricolore. Ob Sozialist, Kommunist oder Royalist, ob Verbrecher oder Unglücklicher, Frankreich frage nur nach Tapferkeit und Treue. Und diese Eigenschaften seien stets hochgehalten worden in der Legion.
    »So«, sagte Capitaine Chabert und wandte sich zu seinen Begleitern, »nun erzählt ihr meine Geschichte in eurer Sprache, damit alle etwas davon haben.« Damit vergrub er seine Hände in den Taschen seiner verknitterten Hose und lauschte mit gekniffenen Augen den fremden Lauten, die den Mündern seiner Genossen entströmten.
    Leutnant Lartigue suchte verschlafen nach Peschke, um sich heimführen zu lassen. Er fühlte sich allzu unsicher auf den Beinen. Und da er
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