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Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)

Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)

Titel: Gottfried Crayon's Skizzenbuch (German Edition)
Autoren: Washington Irving
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bleichen, so geisterähnlichen Gesicht, daß es kein Wunder war, wenn selbst das Auge der Liebe ihn nicht erkannte. Aber bei dem Klang seiner Stimme traf ihr Auge seine Züge; es las mit einem Blick eine ganze Welt des Kummers: sie schlug ihre Hände zusammen, stieß einen schwachen Schrei aus und stand, sie ringend, in stiller Todesangst.
    Alles war nun Lärm und Getümmel – das Zusammentreffen von Bekannten – das Grüßen von Freunden – die Berathschlagungen von Geschäftsleuten. Ich allein war einsam und müßig. Ich hatte keinen Freund, der mich empfing, kein Willkommen, das mir geboten wurde. Ich betrat das Land meiner Vorväter – allein ich fühlte, daß ich ein Fremdling in dem Lande war.
    Roscoe.

Hienieden in der Menschheit Dienst ein Schutzgott
Zu sein; all’ unsres Geistes Kräfte stets
Zu heldenmäß‘gem Streben zu verwenden,
Das über niedern Pöbel uns erhebet
Und uns unsterblich macht – nur das heißt leben.
Thomson .

    Einer der ersten Orte, wohin man den Fremden in Liverpool führt, ist das Athenäum. Es ist nach einem freisinnigen und verständigen Plan eingerichtet; es enthält eine gute Bibliothek, ein geräumiges Lesezimmer, und ist der allgemeine literarische Vereinigungspunkt der Stadt. Gehet dahin, zu welcher Stunde ihr wollt, ihr seid gewiß, es mit ernstblickenden Leuten angefüllt zu finden, welche tief in das Studium der Zeitungen versenkt sind.
    Als ich einst diesen Versammlungsort der Gelehrten besuchte, ward meine Aufmerksamkeit auf einen Mann gelenkt, der so eben in das Zimmer trat. Er war schon vorgerückt an Jahren, groß und von einer Gestalt, die einst gebieterisch gewesen sein mochte, jetzt aber von der Zeit, vielleicht von Sorgen, etwas gebeugt war. Er hatte ein edles, Römer-artiges Gesicht; einen Kopf, der einem Maler gefallen hätte; und obgleich einige leichte Furchen auf seiner Stirn zeigten, daß zerstörendes Denken hier geschäftig gewesen, so glänzte doch sein Auge noch von dem Feuer einer dichterischen Seele. Es war etwas in seiner ganzen Erscheinung, das ein von der geschäftigen Menge um ihn her ganz verschiedenes Wesen verkündigte.
    Ich fragte nach seinem Namen, und erfuhr, daß er Roscoe heiße. Ich trat mit einem unwillkührlichen Gefühl der Verehrung zurück. Das war also ein Schriftsteller von Ruf, das war einer der Männer, deren Stimme bis an das Ende der Welt gedrungen war, mit dessen Geiste ich selbst in den Einöden von Amerika verkehrt hatte. Gewöhnt, wie das bei uns zu Lande der Fall ist, europäische Schriftsteller nur aus ihren Werken zu kennen, mögen wir sie uns nicht, wie andere Leute, mit gemeinen oder schmutzigen Beschäftigungen vertraut, und unter Alltags-Menschen auf den staubigen Pfaden des Lebens sich herumtummelnd, denken. Sie gehen an unserer Seele wie höhere Wesen vorüber, in den Ergüssen ihres Geistes strahlend, und mit dem Heiligenschein eines literarischen Ruhmes umgeben.
    Daß ich daher den zierlichen Geschichtschreiber der Medici unter den geschäftigen Söhnen des Handels fand, war anfangs meinen dichterischen Ideen zuwider; aber gerade die Umstände und die Lage, in welcher Herr Roscoe sich befindet, müssen ihm die höchsten Ansprüche auf unsere Bewunderung sichern. Es ist anziehend, zu beobachten, wie manche Geister sich beinahe selbst zu schaffen scheinen, indem sie unter jedem Mißgeschick sich erheben, und ihren einsamen aber unwiderstehlichen Weg unter tausend Hindernissen durch suchen. Die Natur scheint ein Vergnügen daran zu finden, die Regsamkeit der Kunst zu vereiteln, womit diese gern die rechtburtige Unbedeutsamkeit zur Reife bringen möchte, und auf die Kraft und die Ueppigkeit ihrer zufälligen Hervorbringungen stolz zu sein. Sie streut die Saatkörner des Genies in den Wind aus, und obgleich manches davon in den steinigen Gegenden der Welt umkommen, und unter den Dornen und dem Gestripp früher Widerwärtigkeiten ersticken mag, so schlagen andere doch in den Ritzen der Felsen Wurzel, arbeiten sich tüchtig in den Sonnenschein empor, und verbreiten über ihren unfruchtbaren Geburtsort alle Schönheiten der Vegetation.
    Das ist der Fall bei Herrn Roscoe gewesen. An einem, dem Wachsthume literarischen Talents anscheinend sehr ungünstigen Orte geboren, auf dem wahren Marktplatze des Handels, ohne Vermögen, Familienverbindungen, oder Gönner, durch sich selbst getrieben, durch sich selbst aufrecht erhalten, und fast ohne andere Lehrer als sich selbst, hat er jedes Hinderniß überwunden, seinen Weg
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