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Gordon

Gordon

Titel: Gordon
Autoren: Edith Templeton
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Mann war, mit dem ich im Bett jemals glücklich gewesen bin.«
    Bis zum Ende der Sitzung erzählte ich von nichts anderem mehr als von Gordon; von seinen Scherzen, vom »Friedhof«, davon, wie er mich wie einen Jungen gebraucht hatte, wie er mich verprügelt hatte, wie er mich rausgeworfen hatte …
    »Und was mich am meisten störte«, sagte ich, »war, dass er mir ständig diese Sache mit der Vaterfigur an den Kopf werfen musste. Und Unsinn war es auch noch. Ich habe nie an meinen Vater gedacht, bis ich Gordon kennen lernte und er damit anfing. Er hat ihn eigentlich erst erfunden.«
    Crombie lachte.
    Ich erwähnte nie wieder meinen Vater, ebenso wenig er.
    Erst als ich zu meiner dritten Sitzung kam, bat mich Crombie um meine Adresse, und als er sich darüber erstaunt zeigte, dass ich in einem Hotel wohnte, erklärte ich ihm, mein Mann sei Antiquitätenhändler, Agent für Sotheby’s auf dem Kontinent, wir wohnten im Ausland und ich würde nur sechs Wochen in London bleiben. Ich hatte Angst, dass er auf diese Mitteilung hin sein Notizbuch hinlegen und mir sagen würde, dass es sich in dem Fall nicht lohne weiterzumachen. Doch er gab keinerlei Kommentar ab.
    Ebenso wenig äußerte er sich, als ich sagte, ich hätte seit acht Jahren, seit Gordons Tod, vorgehabt, ihn aufzusuchen, und hätte es immer wieder hinausgeschoben aus Angst, er würde sich nur über mich lustig machen und etwas in der Art sagen wie: »Also, wenn Sie keine anderen Sorgen haben …«
    Nach dem ersten Mal auf der Couch verlor ich jede Befangenheit. Und da ich auch weiterhin die meiste Zeit über von Gordon erzählte, begann ich zu befürchten, es könnte ihm auf die Dauer langweilig werden, immer nur von ihm zu hören, aber er lachte oft und amüsierte sich offensichtlich, und das beruhigte mich.
    »Warum verlassen Sie Ihren Mann nicht?«, fragte Crombie eines Tages ganz unvermittelt, nachdem ich ihm vom Belgrave Park Hotel erzählt hatte und davon, wie viel Mühe sich Gordon meinetwegen gemacht hatte, dass er sogar dahin gegangen war, um sich das Hotel mit eigenen Augen anzusehen und festzustellen, ob es meiner Beschreibung entsprach.
    »Das wäre nicht richtig von mir«, sagte ich. »Schließlich sind wir seit mittlerweile vier Jahren verheiratet, und er ist gern mit mir verheiratet, und ich langweile ihn nie. Anders als die meisten anderen Frauen. Und er ist das, was man einen vorbildlichen Ehemann nennt.«
    »Ist das alles?«, fragte Crombie. »Dann bleiben Sie also lediglich aus Pflichtgefühl bei ihm.«
    »Ja, das stimmt«, sagte ich.
    »Was würde Ihre Mutter über Ihre jetzige Situation sagen, wenn Sie noch am Leben wäre?«, fragte Crombie.
    »Sie würde sagen: ›Betrüge ihn, wenn du möchtest, aber sieh zu, dass er nichts davon merkt.‹« Ich fügte hinzu: »Sie würde Verständnis haben.«
    »Und was würde Ihre Großmutter sagen?«, fragte er.
    »Dass ich treu sein soll«, sagte ich. »Sie würde sagen: ›Er behandelt dich anständig und rücksichtsvoll, er trinkt nicht, er spielt nicht, du hast sogar einen Nerzmantel, und du könntest auch noch einen Hermelinmantel haben, also was willst du mehr?‹«
    »Ich verstehe«, sagte Crombie.
    Ich sagte: »Meine Großmutter war ein äußerst pflichtbewusster Mensch. Sie verabscheute meinen Großvater, aber sie sah nie einen anderen Mann an. Aber ich habe ihre Kraft nicht. Ich will nicht so weitermachen, und ich will nicht Schluss machen. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Wissen Sie, Goethe hat über Hamlet das Beste gesagt, was je über ihn gesagt worden ist. Er sagte, Hamlet sei ein Mann, der nicht die Kraft habe, seine Bürde zu tragen, und der ebenso wenig die Kraft habe, sie abzuschütteln. Genauso fühle ich mich. Aber meine Großmutter war stark. Sie trug ihre Bürde.«
    »Dann würden Sie Ihren Mann also verlassen, wenn Sie könnten?«, fragte Crombie.
    »Ja«, sagte ich, »das stimmt. Aber ich bin erschüttert. Ich hatte es nicht gewusst. Die Idee, ihn zu verlassen, war mir bisher nie in den Sinn gekommen. Bis zu diesem Augenblick nicht. Wissen Sie, als ich jetzt von zu Hause wegfuhr und nach London kam, wollte ich Sie ausschließlich wegen Gordon aufsuchen, und jetzt stellt sich heraus, dass meine Ehe mir überhaupt nichts bedeutet und dass alles Staub und Asche ist.«
    »Reden Sie nur weiter«, sagte Crombie.
    Als ich mich an dem Tag von ihm verabschiedete, sagte er zu mir: »Gordon ist tot, und Sie leben, und ich möchte Sie am Leben erhalten – ob mit oder ohne
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