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Gordon

Gordon

Titel: Gordon
Autoren: Edith Templeton
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mir vor, dass es mir ein ernsthaftes, fleißiges und zuverlässiges Aussehen verlieh.
    Das aus roter Baumwolle hatte ich an diesem Nachmittag ganz bewusst gewählt. Ich hoffte, es würde zu verstehen geben, wie wenig mir daran gelegen war, ihm zu gefallen. Ich war davon überzeugt, dass es mich überhaupt nicht kümmerte, ob ich ihm gefiel oder nicht. Dennoch nahm ich ihm aus tiefstem Herzen übel, wie er mich an dem Abend im Garten behandelt hatte, und ich hoffte, ihn durch meine offen gezeigte Gleichgültigkeit zu verletzen. Ich brauche kaum zu sagen, dass ich ganz bewusst eine Viertelstunde nach dem vereinbarten Termin eintraf.
    Er stand an derselben Stelle, wo ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte, mit dem Rücken an der blumenübersäten Wand der Sänfte.
    Er war in Uniform, in Kampfanzug und Barett, mit den Rangabzeichen eines Majors. Die Aufmachung kleidete ihn nicht. Das grobe Material des zu weiten Uniformrocks ließ ihn kleiner und zierlicher erscheinen, als er war, das Barett verbarg seinen mephistophelisch attraktiven Haaransatz, das Khaki verlieh seiner Blässe etwas Teigiges.
    »Ich fürchte, ich habe mich verspätet«, sagte ich, um ihn auf meine beleidigende Säumigkeit hinzuweisen für den Fall, dass er sie nicht bemerkt haben sollte.
    Er erwiderte: »Sie meinen wohl, Sie haben sich verspätet, weil Sie sich fürchten.«
    Ich sah ihn kurz an. Dann schlug ich die Augen nieder.
    »Ich habe heute zum letzten Mal meine Uniform angezogen«, sagte er, »als eine Art Schwanengesang.« Er nahm die atemlose, zittrige, vor Rührung bebende Stimme eines sehr alten Mannes an: »Als ein von Herzen kommendes Zeichen der Hochachtung vor all den lieben tapferen Jungs, die der vaterländischen Sache Leib und Leben geopfert haben.« Während ich kicherte, kehrte er zu seinem normalen Ton zurück und sagte: »Verschwinden wir hier.«
    Wieder packte er mich beim Handgelenk; diesmal störte es mich nicht. Draußen blieb er stehen, hob meine Hand und hielt sie mit ausgestrecktem Arm hoch, wobei er sie leicht hin und her drehte, so dass mein Ehering im Licht aufblinkte.
    Er sagte: »Dies Ringelein von Gold scheint Ihre kleine Hand nicht sonderlich zu belasten.«
    »Stimmt«, sagte ich.
    Er nahm meine Hand wieder hinunter und setzte sich, ohne mein Handgelenk loszulassen, gleichzeitig mit mir in Bewegung.
    »Wann haben Sie Ihren Mann sitzen lassen?«, fragte er.
    »Woher wissen Sie, dass ich ihn sitzen gelassen habe?«
    »Ich könnte mir vorstellen, dass Sie überhaupt sehr gut darin sind, Leute sitzen zu lassen«, sagte er.
    »Ich weiß nicht«, sagte ich, »ich habe noch nie darüber nachgedacht.«
    »Es war nur so dahingesagt«, bemerkte er. »Sie brauchen sich keine Gedanken darüber zu machen. Wann haben Sie ihn sitzen lassen?«
    »Vor drei Jahren.« Ich war mir sicher, dass er mich gleich fragen würde, aus welchen Gründen ich meinen Mann verlassen hatte, und war fest entschlossen, es ihm nicht zu sagen; deswegen war ich erstaunt, als er eine völlig anders geartete Frage stellte.
    »Wie alt war er damals?«
    »Siebenundzwanzig«, sagte ich.
    »Dann war er also nicht alt und schön«, bemerkte er mit einem Lächeln tiefer Befriedigung.
    »Seien Sie kein solcher Idiot!«, sagte ich. »Was hat das damit zu tun?«
    »Woher soll ich das wissen?«, entgegnete er, noch immer lächelnd. »Sie sollten es wissen. Aber da Ihnen die Vorstellung nicht zu behagen scheint, brauchen Sie keinen weiteren Gedanken daran zu verschwenden.«
    »Sie sind wirklich ein richtiger Idiot«, sagte ich. »Das ist so wie mit dem Mann, dem jemand das Geheimnis verriet, wie sich Stein in Gold verwandeln ließ, mit sämtlichen richtigen Regeln und Anweisungen; aber während der Prozedur dürfe er nicht einmal eine Sekunde lang an weiße Elefanten denken. Und natürlich konnte er prompt gar nicht anders, als an weiße Elefanten zu denken. Warum sagen Sie mir also, ich soll nicht darüber nachdenken? Weil ich es jetzt tun werde.«
    »Natürlich werden Sie es tun«, sagte er. »Aber es wird zu nichts führen.«
    »Wohin sollte es denn führen? Ich verstehe Sie nicht«, sagte ich.
    »Sie brauchen mich gar nicht zu verstehen, mein armes Kind«, sagte er.
    »Sie reden nichts als Blödsinn!«, sagte ich hochmütig. Ich war begeistert, weil ich so unhöflich zu ihm sein konnte, wie es mir passte. Ich hatte noch nie zuvor eine solche Freiheit genossen. Ich war berauscht von meiner eigenen Frechheit. »Sie bilden sich ein, Sie brauchen nur irgendein dummes
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