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Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Titel: Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)
Autoren: Jean Kwok
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wäre ich verrückt geworden.
    »Kang ju «, wiederholte er und sprach alles falsch aus.
    »Wal«, sagte ich noch einmal.
    »Käng jü «, sagte er. Er gab sich wirklich Mühe. Immer noch Kauderwelsch, aber er kam der Sache langsam näher.
    »Besser«, sagte ich auf Englisch.
    Mama kicherte tatsächlich. Ich glaube, sie hatte noch nie gehört, wie ein Nichtchinese versuchte, unsere Sprache zu sprechen. »Ich wünsche Ihnen gute Geschäfte«, sagte sie auf Chinesisch.
    »Ho sang ji «, wiederholte er. »Was bedeutet das?«
    Ich erklärte es ihm auf Englisch: »Damit man wünscht, dass Laden viel Geld bringt.«
    Sein Gesicht verzog sich zu dem breitesten, weißesten Lächeln, das ich je gesehen hatte. »Na, das kann ich brauchen. Vielen Dank!«
    »Gern geschehen«, sagte Mama auf Englisch.
    Von Mr Als Geschäft einmal abgesehen waren die meisten Schaufenster in Sichtweite leer. Wir wohnten gegenüber einem riesigen, mit Schutt und Müll gefüllten Grundstück, in dessen hinteren Bereich sich ein schiefes, eingesunkenes Gebäude duckte, als hätte man vergessen, es abzureißen. Ich hatte gesehen, wie schwarze Kinder im Bauschutt herumkletterten und sich Einzelteile alter Spielsachen und Flaschen
zum Spielen suchten. Ich wusste, dass mir Mama nie erlauben würde, mich ihnen anzuschließen.
    Auf unserer Straßenseite waren einige wenige Geschäfte geöffnet: ein Laden mit Haarkämmen und Räucherstäbchen im Schaufenster, ein Eisenwarenladen.
     
    Selbst mit dem Spray schafften wir es nicht, die Kakerlaken auszurotten. Wir sprühten alle Ritzen und Ecken damit ein, verteilten Mottenkugeln in unserer Kleidung und legten sie in einem breiten Ring um unsere Matratze herum aus. Trotzdem tauchten die braunen Köpfe mit den wackelnden Fühlern aus jedem Spalt auf. Sobald wir einen Teil der Wohnung verließen oder zu ruhig waren, wagten sie sich wieder hervor. Wir waren die einzige Nahrungsquelle im ganzen Gebäude.
    Es war unmöglich, sich an sie zu gewöhnen. In Hongkong hatte ich natürlich auch schon Kakerlaken gesehen, aber nie bei uns zu Hause. Wir hatten in einer netten, einfachen Wohnung gewohnt. Wie die meisten Menschen im damaligen Hongkong besaßen wir keine Luxusgegenstände wie einen Kühlschrank, aber Mama bewahrte unsere Speisereste immer in einem Stahlgeflechtkorb unter dem Tisch auf und kochte alle Mahlzeiten mit frischem Fleisch und Gemüse vom Straßenmarkt. Ich vermisste unser hübsches kleines Wohnzimmer mit dem roten Sofa und dem Klavier, auf dem Mama den Kindern nach der Schule Klavierunterricht gab. Das Klavier hatte ihr Papa zur Hochzeit geschenkt. Wir hatten es verkaufen müssen, bevor wir nach Amerika kamen.
    Jetzt lernte ich, bei jeder Tätigkeit Lärm zu machen und herumzupoltern, in der Hoffnung, dass die Kakerlaken sich dadurch fernhalten ließen. Mama eilte oft mit einem Stück Toilettenpapier an meine Seite und zerdrückte alle Kakerlaken
in meiner Nähe, aber einmal schrie ich trotzdem vor Schreck, weil eine große Kakerlake an meinem Pullover hochkrabbelte. Ich will gar nicht darüber nachdenken, was passierte, wenn wir schliefen.
    Ich weiß, dass nachts auch Mäuse und Ratten auftauchten. Gleich in der ersten Nacht hatte ich gespürt, wie etwas im Schlaf über mich gehuscht war. Seither hatte ich mir angewöhnt, tief in die Decken vergraben einzuschlafen. Vor Nagetieren hatte ich weniger Angst als vor Kakerlaken, weil Mäuse zumindest Warmblüter waren. Für mich waren sie einfach nur kleine Lebewesen, aber Mama hatte panische Angst vor ihnen. In Hongkong hatte sie sich geweigert, eine Katze zu halten, weil sie nicht wollte, dass sie ihr stolz ihre Jagdbeute vor die Füße legte. Dass eine Katze die Anzahl lebender Nagetiere reduzierte, war ihr völlig egal. Sie duldete einfach keine Katze in unserem Haus. Nach unserer ersten Nacht in der neuen Wohnung sagte ich zu Mama, dass ich nicht an der Wand, sondern auf der Zimmerseite der Matratze schlafen wolle, weil ich manchmal nachts aufs Klo müsse. Ich wollte ihr ersparen, dort schlafen zu müssen, wo vermutlich nachts die Mäuse und Ratten aktiv waren. Mit solchen kleinen, liebevollen Gesten bedachten wir uns damals regelmäßig, sie waren alles, was wir hatten.
    Wir stellten Mäusefallen auf, und tatsächlich fingen wir sofort ein paar Mäuse. Mama wich zurück, als sie die leblosen kleinen Körper sah, und ich wünschte mir verzweifelt, Papa würde noch leben und mir diese unangenehme Aufgabe abnehmen. Ich wusste, dass es billiger gewesen
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