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Goldstück: Roman (German Edition)

Goldstück: Roman (German Edition)

Titel: Goldstück: Roman (German Edition)
Autoren: Anne Hertz
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gefallen, weil seine Mutter zu spät nach Hause kam, was weiß ich. Ansonsten ist es eine sehr entspannte, wenn auch schlecht bezahlte Arbeit. Als ich damals hier anfing, habe ich mir nicht träumen lassen, dass ich so lange bleiben würde. Erst recht nicht hätte ich mir jemals träumen lassen, dass der Job hier irgendwann die einzige Alternative sein würde, die mir noch bleibt. Im Moment sieht’s allerdings
    ein kleines bisschen danach aus. Seufzend lasse ich mich auf meinen Platz neben Nadine plumpsen. Meine Kollegin ist gerade damit beschäftigt, sich kleine Strasssteinchen auf ihre unechten Fingernägel zu kleben.
    Wenn sie nicht gerade einen Kunden bearbeitet – neben dem Solarium bieten wir hier auch Nageldesign an –, fummelt sie meistens an ihren eigenen Händen herum. Heute hat sie sich für ein vergleichsweise dezentes Styling entschieden, bis auf die Glitzersteine sehen ihre Nägel ganz normal aus. Aber ich habe sie auch schon mit zentimeterlangen Krallen gesehen, mit denen ich persönlich mir nicht einmal mehr den Reißverschluss meiner Hose hätte schließen können. Dazu mit wildem Airbrush-Design, denn Nadine hat ein echtes Faible für »Außergewöhnliches«, wie sie es nennt.
    »Außergewöhnlich bescheuert und prollig«, war ich schon das ein oder andere Mal versucht, ihr zu sagen. Denn insgesamt ist Nadine mit ihren blonden Löckchen, den großen blauen Augen und der zierlichen Figur eine sehr hübsche Frau – nur ihre Fingernägel zerstören oft das Gesamtbild. Aber bisher habe ich sie darauf natürlich noch nie hingewiesen, egal wie groß die Versuchung war. Denn zum einen möchte ich sie nicht verletzen, weil ich sie wirklich mag. Zum anderen hat Nadine nicht den Ehrgeiz, irgendwann mal einen Posten als Assistentin der Geschäftsführung zu ergattern und ist mit ihrem Job bei »Summer Island« mehr als zufrieden. Wen stören da schon ihre meist gewöhnungsbedürftigen Kunstnägel?
    Ich drehe den Computerbildschirm hinterm Tresen von Nadine zu mir und werfe einen Blick darauf. Hier haben wir eine Übersicht über unsere zwölf Sonnenbänke, welche besetzt sind und welche frei, welche noch gereinigt werden müssen und bei welcher Bank demnächst neue Röhren fällig sind. Bis auf zwei – die acht und die elf – sind alle Kabinen frei. Allerdings zeigt mir der Computer an, dass vier noch nicht gereinigt sind.
    »Äh«, wende ich mich an Nadine, »hast du gesehen, dass da noch vier Bänke gereinigt werden müssen?«
    »Hm«, gibt sie von sich und hantiert konzentriert mit einer Pinzette und einem Strassstein herum.
    »Hättest du das nicht schon mal machen können?«, werde ich nun deutlicher.
    Erstaunt sieht Nadine auf, guckt mich kurz an und wendet sich dann wieder ihrem Kunsthandwerk zu. »Siehst doch, dass ich gerade nicht kann«, lautet ihre lapidare Antwort. Ja, ja, so ist sie, die Nadine, ein echtes Schätzchen.
    Seufzend stehe ich auf, schnappe mir einen Packen mit sauberen Handtüchern aus dem Regal hinter mir und mache mich auf zu den Kabinen. Neben Unpünktlichkeit gibt es nämlich noch eine weitere Sache, die Roger nicht leiden kann: wenn die Bänke nicht unmittelbar nach jedem Kunden gereinigt werden und damit sofort wieder einsatzbereit sind. Das kann ich sogar verstehen, optimale Ausnutzung der Ressourcen oder so ähnlich nennt man das im Manager-Sprech. Glaube ich jedenfalls. Aber das will ja nichts heißen.
    Die nächsten zwei Stunden habe ich gut zu tun, seit einer Woche ist die Zahl der Kunden sprunghaft angestiegen. Nicht ungewöhnlich für Mitte März, da fangen viele schon an, sich ein bisschen künstliche Bräune zu gönnen, um sich auf den Sommer vorzubereiten. Im April und Mai sind die Bänke dann nahezu rund um die Uhr im Einsatz, danach geht der Andrang langsam wieder etwas zurück. Juli und August sind naturgemäß die schwächsten Monate, da sind die Kunden im Urlaub oder begnügen sich mit natürlichem Sonnenschein. Vergangenes Jahr war aus Rogers Sicht eine Sensation: Von Juni bis September quasi Dauerregen in Hamburg, vor Frust und im Kampf gegen eine Kältedepression rannten die Leute uns die Bude ein. »Ein Spitzensommer«, wie Roger es nannte. Nun ja, es kommt halt immer auf die Perspektive an.
    »Tach auch!« Kurz nach zwei kommt Babs, eine unserer Stammkundinnen, überschwenglich durch die Tür gestürmt und baut sich vorm Empfangstresen auf.
    Nadine blickt auch diesmal nicht hoch, mittlerweile hat sie die Strasssteine wieder entfernt und klebt sich
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