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Goldener Reiter: Roman (German Edition)

Goldener Reiter: Roman (German Edition)

Titel: Goldener Reiter: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Weins
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zu Hause. Das heißt, dass das Haus mein Haus ist. Das Telefon klingelt. Ich ziehe die Hose hoch. Meine Beine sind eingeschlafen.
    Meine Großmutter ist am Telefon. Hallo, Oma, sage ich.
    Joni, wie geht es dir?, sagt meine Großmutter.
    Gut, sage ich. Wir haben heute eine Bioarbeit geschrieben.
    Schön, sagt meine Großmutter. Schön. Ist denn die Mama zu Hause?
    Nein, sage ich. Die ist nicht da. Mein Haus. Es ist mein Haus. Und ich habe keine Ahnung, wo sie ist. Die ist nicht da, sage ich.
    Wie geht es denn der Mama?, fragt meine Großmutter.
    Gut, sage ich. Gut geht es ihr. Gut gut gut.
    Schön, sagt meine Großmutter. Schön schön.
    Du kommst mich bald wieder besuchen, gell, Joni? Du kommst mich bald wieder besuchen?
    Ja, sage ich.
    Schön, sagt meine Großmutter.
     
    17
    Ich sitze auf dem Teppich im Wohnzimmer. Es gibt nichts im Fernsehen. Ich habe nichts zu lesen. Ich habe nichts zu tun. Ich bin allein im Haus. Ich gehe in den Flur und schaue mich im Spiegel an, der über der Kommode hängt. Ein Mann steht vor der Tür, das kann ich durch das geriffelte Glas erkennen. Der Mann hat einen Karton in der Hand. Er klingelt.
    Guten Tag, sagt er, als ich die Tür öffne. Ist deine Mutter da?
    Nein, sage ich. Er ist nur ganz wenig größer als ich. Er hat eine schwarzweiß karierte Hose an und ein weißes Hemd. Über dem Hemd hat er eine braune Lederjacke an. Die ist nicht da, sage ich.
    Hm, sagt der Mann.
    Soll ich ihr etwas ausrichten?, sage ich. Ich gucke den Karton an, den der Mann in den Händen hält.
    Ich wollte die Torte vorbeibringen, sagt er.
    Was für eine Torte?, frage ich und denke daran, dass ich bald Geburtstag habe. Eine Geburtstagstorte, das hatte ich noch nie. Sonst gibt es immer nur Kuchen.
    Soll ich sie dir einmal zeigen?, sagt der Mann. Er lächelt und ihm rutscht etwas von seinem Haar ins Gesicht.
    Ja, sage ich.
    Kann ich reinkommen?, sagt der Mann.
    Ja, sage ich, obwohl ich die Geschichten kenne, wo Männer kleine Jungen mit etwas Süßem in den Kelleraufgang locken. Ich gehe mit dem Tortenbäcker in die Küche.
    Guck mal. Er stellt den Karton auf den Küchentisch und nimmt den Deckel ab. Im Karton ist eine gelbe Torte. Gelb ist die Farbe, die ich am wenigsten ausstehen kann. Meine Mutter hätte es wissen müssen. Oben auf der Torte ist ein Kranz aus rosa Rosen. In der Mitte der Torte ist eine braune Schrift. Viktor steht da in geschwungenen Buchstaben. Wer ist bitteschön Viktor?
    Schön ist sie geworden, oder?, fragt der Tortenbäcker.
    Vielleicht ist der Tortenbäcker Viktor. Er hat seinen Namen auf die Torte geschrieben, damit er etwas abhaben kann. Er biegt ein Blatt von einer rosa Rose zurecht. Schön, oder?
    Ich sage nichts. Ich sehe die Torte an.
    Er reibt seine Hände an der Hose. Ich glaube, ich lasse die Torte einfach hier stehen, sagt er. Dann freut sich deine Mutter, dass sie sie doch noch bekommt.
    Wieso?, sage ich.
    Na ja, sagt der Tortenbäcker. Sie hatte sie bestellt und bezahlt und abgeholt. Aber dann hat sie sie vor dem Geschäft auf einem Auto abgestellt. Sie hat sie da stehen lassen, mitten auf der Straße auf dem Autodach. Und der Besitzer des Wagens hat sie später zurück in den Laden gebracht. Der Tortenbäcker lacht. Er reibt seine Hände. Er schaut sich in der Küche um. Was soll das?, denke ich, was soll diese blöde Torten-Geschichte? Nimm doch deine Torte, du kannst sie ganz allein aufessen.
    So eine Torte ist nicht billig, sagt er, und deine Mutter hat sie ja bezahlt. Und dann hat sie sie stehen lassen. Er schüttelt den Kopf und lacht.
    Ja, sage ich.
    Und ich dachte, ich fahre die Torte schnell mal vorbei, dann freut sich deine Mutter.
    Ja, sage ich. Bestimmt.
    Ich mache die Tür hinter dem Tortenbäcker zu. Ich gehe in die Küche. Auf dem Tisch steht eine gelbe Torte. Viktor steht auf der Torte. Ich klappe den Deckel des Kartons zu. Tschüs, Viktor.
    Ich öffne die Haustür und werfe die Torte in die Mülltonne.
     
    18
    Ich bin aufgewacht und habe den Rollladen hochgezogen. Heute ist mein Geburtstag. Die Sonne scheint nicht. Der Himmel ist grau, wie ein Elefant grau ist. Ein Elefant, der im Zoo steht. So ein Himmel ist das. Ich gehe im Schlafanzug in die Küche. Meine Mutter sitzt im Qualm ihrer Zigaretten. Es steht kein Kuchen auf dem Tisch und keine Torte. Normalerweise steht an meinem Geburtstag ein Marmorkuchen auf dem Tisch, ein Marmorkuchen mit Schokolade. Im Marmorkuchen brennt eine Kerze für mich. Neben dem Marmorkuchen steht ein kleiner Blumentopf mit
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