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Götterfall

Götterfall

Titel: Götterfall
Autoren: Sandra Lüpkes
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Weshalb wurde Jan getötet? Und weshalb dieser Umstand mit dem Boot auf dem Charlottensee? Dahinter steckt doch eine Botschaft, oder nicht? Wie passt das zu der Geschichte, die uns die Medien heute noch aufzutischen versuchen?«
    Die Kosian unterbrach Wenckes Redefluss barsch: »Soweit ich weiß, gibt es keine Zweifel, dass man damals den Richtigen inhaftiert hat. Was wollen Sie also andeuten?«
    »Götze hat nie gestanden!«
    »Da ist er nicht der Einzige, der der Gesellschaft eine Erklärung schuldig bleibt.« Der genervte Unterton war nicht zu überhören. »Wer will denn mit dieser Uralt-Geschichte noch etwas zu schaffen haben? Mir kommt es eher vor, als ob Sie Ihr persönliches Trauma aufarbeiten möchten.«
    »Vielleicht haben Sie recht. Mein erster Mord  – und dann auch noch ein Kind, was mich als Mutter ja ganz besonders furchtbar mitnimmt …« Wencke hoffte, dass ihr Lächeln giftig war und gleichzeitig undefinierbar blieb. Ihr Ziel war es doch nur, einen offiziellen Auftrag zu bekommen, um sich gefahrlos mit dieser alten Geschichte auseinandersetzen zu dürfen. Die Ansage des Ministeriumsfuzzis war deutlich genug: Sie saß auf dem Schleudersitz. Alleingänge jeglicher Art könnten sie den Job kosten. Dann fiel ihr ein weiteres Argument ein: »Der Fall ist auch über mein persönliches Interesse hinaus spannend. Es gibt in Deutschland nur selten politisch motivierte Straftaten dieser Art. Vielleicht gelingt es mir, einen kleinen Aufsatz zu verfassen. Ich könnte ihn dann ganz spontan vor den EU-Leutenin Island halten. Braucht unsere Abteilung in der jetzigen Situation nicht jede Menge positiver Resonanz?«
    Tilda Kosian sah plötzlich aus, als habe das lang ersehnte Koffein geradewegs für einen leichten bis mittelschweren Herzanfall gesorgt. Ihr Oberkörper war stocksteif, sie atmete flach und wirkte etwas blass um die gepuderte Nase. »Frau Tydmers, es ist nett, dass Sie die Sache in Island für mich übernehmen, und meinetwegen nehmen Sie auch diesen Fall Jan Hüffart auseinander, wenn Ihnen so viel daran liegt. Aber unterstehen Sie sich, meine persönliche Situation nach dem Verlust meines ganzen Hausstands ausnutzen und sich jetzt profilieren zu wollen.« Sie entfernte sich drei Schritte, dann drehte sie sich um und ihr Blick war gekonnt: »Ich bin sehr bald wieder zurück auf meinem Stuhl, Frau Tydmers. Sehr, sehr bald!«
    Wencke schaute ihrer Vorgesetzten entgeistert hinterher, als sie zwischen den vielen anderen Menschen im Gewühl der Innenstadt verschwand. Dann radelte Wencke nach Haus. Dort war sie jetzt besser aufgehoben als im Büro. Ein Blick in den Briefkasten ließ jedoch erahnen, dass sie von einem geruhsamen Nachmittag weit entfernt war. Wer auch immer diese anonymen Briefe verschickte – und inzwischen war Wencke fast sicher, dass es sich dabei um Frank-Peter Götze handelte  –, schien hartnäckig zu sein, denn ein neuer Umschlag lag im Kasten. Dieselbe Schrift, dasselbe Format, dieses Mal nur ohne Foto.
    Sie wusste, es wäre besser, die Sache zu ignorieren. So wie Silvie es anscheinend ganz wunderbar hinbekam. Ist mir doch egal, was mal gewesen ist, jetzt hab ich keine Zeit, mich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Und doch war Wencke klar, sie würde es keine Minute aushalten, stattdessen immer bloß auf diesen Umschlag starren  – um ihn dann doch irgendwann zu öffnen. Sie stellte ihren Rucksack ab, schenkte sich etwas Wasser ein und setzte sich an ihren Schreibtisch.

Urð
    [Polizeischule Bad Iburg, Zimmer 247,
    21. Januar 1994, kurz nach Mitternacht]
    Vorhin Verhaftung von F. Bin noch ganz von der Rolle. Verhaftet! Mit zehn Mann oder so! Die schwarzen Waffen gezückt wie im schlechten Spionagefilm. Wir beide im Bett, keine Klamotten an, verpennt und noch nicht ganz da. Da willst du kein SEK vor dir stehen haben.
    Gebe zu, hab schon vorher mal gedacht, F. könnte was mit dem Kidnapping zu tun haben. Hab ich ja schon geschrieben. Er war so komisch die letzten Tage, hatte oft keine Zeit, ständig Heimlichkeiten, dann war er nervös, hat gestern dauernd Radio gehört und den Fernseher angeschaltet. Ich war ja tagsüber wie alle anderen mit der Polizeisuchaktion nach Jan beschäftigt und hatte andere Sachen im Kopf, da hab ich den Zusammenhang noch nicht hundertprozentig gesehen. Erst später.
    Nachdem wir Sex miteinander hatten (vielleicht das letzte Mal?) und bevor die schwarzen Männer ins Schlafzimmer gestürmt kamen, hat er nämlich was gesagt. F. war ja Meister im
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